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The Tiger Lillies

„Wir gelten im Ausland als typisch englisch? Naja, vielleicht sind wir das ja auch.“ Martyn Jacques lehnt sich zurück, nippt am Kaffee. Eine Klischeefigur ist der Sänger der Tiger Lillies schon, wie er im grauen Anzug, mit Melone und Gehstock mitten im quirligen Nachmittag des Londoner Stadtviertels Soho sitzt.

Die Tiger Lillies spielen mit ihrem Image. Man erwartet, wegen der abgründigen Texte, in denen schon mal Sex mit Kleintieren oder die Kreuzigung Christi gepriesen werden, provokativen Anarchisten gegenüber zu sitzen. Und dann erscheinen zwei höfliche, leicht schrullige Herren zum Interview. „Wir zeigen, dass Engländer soft sein können, lustig und harmlos“, kokettiert Jacques. Und Kontrabassist Adrian Stout greift gleich in die Geschichte aus: „Das war schon früher so. Wir haben zwar die Welt kolonialisiert, aber wir waren ziemlich nett dabei. Wir waren Gentlemen, als wir die anderen Länder überfallen haben.“ So sind sie: nett. Aber im Hintergrund glänzt immer wieder eine kleine, böse Spitze.

Dass diese Spitzen auf Platte nur unzureichend umgesetzt werden können, ist auch Jacques und Stout klar. Die Tiger Lillies sind nicht umsonst Theatermusiker, die mit ihrer Struwwelpeter-Paraphrase „Shockheaded Peter“ auch in Deutschland bekannt wurden.

„Man muss uns live sehen, um unsere Ironie zu verstehen“, bestätigt Stout. Einen Song wie die Kreuzigungsnummer „Banging in the Nails“ könne man, wenn man die Band nicht live sieht, auch als satanistischen Rock missverstehen, so Jacques. Erst bei einem Live-Auftritt werde die zweite Ebene deutlich, die den Song als Zitat aus Stanley Kubricks „Clockwork Orange“ ausweist. Live sind die Tiger Lillies ganz weit weg von den gängigen Vorstellungen einer Rockband. Ihre Auftritte bewegen sich energiegeladen zwischen Theater und Konzert, finden ihre Einflüsse eher in Jahrmarktsbuden und auf Kabarettbühnen als in Konzerthallen. Und irgendwo, hinter aller Energie und Wildheit, wird es auch dann aufblitzen: das Nette, Britische.

Falk Schreiber

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