Thomas von Steinaecker: Die Verteidigung des Paradieses
Koketterie ist das nicht: „Ich bin vorsichtig und sehr skeptisch, wie der neue Roman angenommen wird“, sagt Thomas von Steinaecker, und in den mehr als berechtigten Stolz auf „Die Verteidigung des Paradieses“ mischt sich eine Verunsicherung, die unmöglich nur gespielt sein kann. Der 39-jährige Autor aus Augsburg begründet seine Skepsis zunächst mit dem vermeintlich sperrigen Thema und einem Vergleich mit seinem sehr erfolgreichen Vorgängerroman „Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und anfing zu träumen“, der 2012 erschienen ist. „Wenn man über eine Versicherungsangestellte schreibt, die mit den typischen Büroproblemen der Gegenwart zu kämpfen hat, dann macht das weniger Probleme, als wenn es um einen 15-jährigen Klon mit Chip im Kopf geht, dessen bester Freund ein Roboterwüstenfuchs ist“, überspitzt er und muss über seine unvorteilhafte Inhaltsangabe dann auch selbst lachen.Tatsächlich zeichnet von Steinaecker in seinem fünften Roman ein postapokalyptisches Deutschland: Die Gewässer sind verseucht und mordende Mutantenbanden ziehen auf der Jagd nach Wasser und Lebensmitteln durch das verwüstete Land. Der 15-jährige Heinz wächst bei einer kleinen Gruppe Überlebender in den Bergen auf. Er wird zum Chronisten der Gruppe, notiert Wörter wie „Höflichkeit“ und „Würde“, die nach dem Zusammenbruch der Zivilisation ihre Bedeutung verloren haben und träumt von seinem Ruhm als Geschichtsschreiber der letzten Menschen. Als sich die Gerüchte verdichten, irgendwo im Westen existiere ein Flüchtlingslager, von dem aus man in den von der Katastrophe verschonten Teil der Welt gelangen könne, bricht die Gruppe um Heinz zu einem Marsch voller Schrecken auf – um zu erfahren, dass die schlimmsten Grausamkeiten erst in dem von ihnen so ersehnten Lager auf sie warten …
Natürlich möchte man von Steinaecker beruhigen, sich bloß keine Sorgen über Zugangsschwierigkeiten auf Seiten der Leser zu machen – schließlich hat er doch mit nahezu prophetischer Eingebung einen Schlüsselroman zur Flüchtlingsthematik und der gegenwärtigen politischen Lage geschrieben. Doch war es mit „Die Verteidigung des Paradieses“ ganz und gar nicht sein Ansinnen, den Deutschen einen Spiegel vorzuhalten und tagesaktuelle Politik aufzuarbeiten. „Ich habe mit dem Roman 2011 angefangen und hätte ich damals wirklich voraussehen können, wie nah ich mit meinem Plot der Realität komme, dann wäre mir das vermutlich viel zu anbiedernd und offensichtlich vorgekommen. Ich hätte mich wohl geschämt, den Roman zu schreiben“, erklärt er und offenbart, dass die Angst vor Desinteresse Hand in Hand geht mit der Befürchtung, missverstanden zu werden. All seine Ängste sind nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass es sein bislang persönlichste Buch ist: „Es war nicht gerade einfach, mit Heinz eine Figur zu finden, die mir nicht hundertprozentig entspricht, die aber zum allerersten Mal sehr viel von mir enthält.“ So geht es wie in all seinen Romanen um die deutsche Identität, nur hinterfragt er hier insbesondere die eigene Daseinsberechtigung: Welchen Wert hat Literatur in einer Welt, in der es nur noch um das nackte Überleben geht? Die Antwort liefert seine handlungssatte, ungemein spannende Dystopie gleich mit, die es mit den Klassikern des Genres aufnehmen kann. Vor allem aber fügt er nach dem Erzählrausch noch einen zweiten Teil an, der auch den großen politischen Fragen gerecht wird – nur eben nicht plump tagesaktuell, sondern zutiefst philosophisch und nachhaltig.