„Transatlantic“ auf Netflix: Die surreale Welt der Menschlichkeit
Anna Winger hat mit der Serie „Transatlantic“ einer großen Rettungsaktion im Zweiten Weltkrieg ein Denkmal gesetzt. Ab sofort auf Netflix.
Die neue Netflix-Serie Transatlantic der Produzentin Anna Winger („Deutschland 83“, „Deutschland 86“, „Unorthodox“) spielt in den Jahren 1940 und 41 in Marseille, dem einzigen europäischen Hafen, der noch nicht von den Nationalsozialisten besetzt ist. Die weichen und gleichzeitig intensiven Farben der Mittelmeerküste treten in Konkurrenz zur harten Realität fliehender Menschen, allesamt verfolgt von der deutschen Wehrmacht und der französischen Vichy-Regierung. Mitten unter den Flüchtenden sind wichtige Vertreter der deutschen Geistesgeschichte: Walter Benjamin, Hannah Arendt, Max Ernst (Peggy Guggenheim nahm ihn mit in die USA, sie heirateten), Walter Mehring und viele mehr.
Die Figuren der Serie Transatlantic sind historisch verbürgt, das Drehbuch ist es natürlich nicht, aber die groben Handlungsstränge stimmen: Varian Fry (Cory Michael Smith) leitet das Emergency Rescue Committee, das den verfolgten Künstlern und Philosophinnen zur Flucht verhilft, Mary Jayne Gold (Gillian Jacobs) pumpt das nötige Geld in die Organisation, Lucas Englander („Parlament“) spielt den flüchtenden Albert Hirschmann, der dann aber in Marseille selbst Mitglied des Committees wird. Insgesamt retten sie über 2 000 Menschen das Leben – Walter Benjamin wählt auf der Flucht in seiner Verzweiflung den Freitod. Jonas Nay (Interview zu „Deutschland 89“) als Walter Mehring und Moritz Bleibtreu als Walter Benjamin spielen Nebenrollen in der Serie, wie überhaupt historisch äußerst bekannte Künstler und Philosophinnen immer wieder das Tableau schmücken, aber nicht so viel zu Kernhandlung beisteuern.
„Transatlantic“: Nächte voller Melancholie
Die Regisseurinnen Stéphanie Chuat und Véronique Reymond packten auf sanfte Weise die oft surreale Situation der Flüchtenden in wunderbare Filmsequenzen: Partys in der Villa Air-Bel vor den Toren Marseilles werden zu Happenings der surrealistischen Künstlerinnen und Künstler (Foto), Nächte voller Melancholie wechseln sich ab mit hoffnungsfrohen Aufbrüchen, und ständig schwebt das Damoklesschwert des Landesverrats und der Todesstrafe über den Akteurinnen. Transatlantic zeigt nicht nur, welche humanitäre Leistung durch den Bruch geltender Gesetze gegen den Vernichtungswillen der Nazis möglich war, die Serie verweist ganz subtil auch immer wieder in die Gegenwart mit ihren ganz eigenen Migrationsströmen und Kriegen.