Tuvaband: Draußen vor der Tür
Nach dem Lockdown gilt es, unsere Systeme wieder hochzufahren. Die norwegische Songwriterin Tuvaband vertraut dabei vor allem auf ihre zerbröckelte Selbstsicherheit.
Tuva, für dein letztes Album als Tuvaband, „I entered the Void“ aus dem Jahr 2019, hast du dich in Berlin komplett isoliert und alle Kontakte außerhalb der Musik abgebrochen. Im Nachhinein war es das perfekte Training für den Lockdown, oder?
Tuva Hellum Marschhäuser: Es ist wirklich seltsam, dass die Welt mir in die Leere gefolgt ist. (lacht) Tatsächlich wusste ich so bereits, was die Einsamkeit mit mir macht. Ich habe darauf geachtet, jeden Tag vor die Tür zu gehen und bei aller Vorsicht auch den Kontakt zu meinen Freund*innen nicht abreißen zu lassen.
Woran hast du gemerkt, dass du wieder raus aus der Einsamkeit musstest?
Marschhäuser: Ich war zu einem Musikroboter geworden. Wenn ich Freund*innen in Norwegen besucht habe, die sich nicht so sehr für Musik interessieren, hatte ich Angst, ihnen nichts mehr zu erzählen zu haben. Außerdem macht man gewisse Probleme zu groß, wenn man sich nur mit seinem Innenleben beschäftigt.
Das neue Album „Growing Pains & Pleasures“ beschreibt deinen Weg zurück in die Welt, und im Zentrum steht die Zeile „Fully mature things/They rot“.
Marschhäuser: Seit ich 18 bin, war da dieses Gefühl in mir, dass ich genau weiß, wer ich bin und was ich will. Für mich war es sehr wichtig, diese Selbstsicherheit zerbröckeln zu lassen und mich neu zusammenzusetzen. Das war mitunter sehr schmerzhaft, aber ich habe jetzt auch neue Tools, um mit der Realität umgehen zu können.
Songs wie „Irreversible“ und „Blue“ haben politische Untertöne, denn auch der Kapitalismus fordert von uns, immer verfügbar und flexibel zu sein.
Marschhäuser: Um Selbstoptimierung ging es mir nicht. Für mich ist dieses Album vielmehr ein persönlicher Befreiungsschlag, denn ich musste niemandem mehr beweisen, dass meine Musik nicht nur cute ist. Auch auf der neuen Platte gibt es noch schroffere Passagen, aber sie entsprechen jetzt voll und ganz mir.
Hattest du kein schlechtes Gewissen, die Welt in der Isolation von Tuvaband komplett auszublenden?
Marschhäuser: Doch, und gerade „Irreversible“ fängt die Erkenntnis ein, dass es nicht reicht, einfach nur zuzusehen. Wir wissen doch alle, wie wir selbst zumindest einen klitzekleinen Teil beitragen können, und ich werde mir in Zukunft etwa schon sehr genau überlegen, ob ich wirklich für ein einziges Konzert nach London fliegen muss.