TV-Tipp: „Lady Chatterley“ zwischen Geist und Körper

Die Verfilmung des einstigen Skandalromans erzählt mit sinnlichen Bildern von der Überwindung von Klassenschranken. Unser Filmtipp
D. H. Lawrence’ meisterhaftes Buch von 1928 konnte erst 32 Jahre später in Großbritannien erscheinen; natürlich ging die Startauflage von 200 000 Stück innerhalb eines einzigen Tages weg. Seinen Skandalroman über die nicht standesgemäße Affäre einer britischen Landadeligen, deren Mann gelähmt und impotent aus dem Krieg heimkehrte, hat sich 2006 die Regisseurin Pascale Ferran vorgeknöpft. Und das sehr erfolgreich: fünf Césars in Frankreich, darunter für „Besten Film“, „Beste Darstellerin“ und „Beste Kamera“.
Zu Recht. In zweieinhalb Stunden entwickelt Ferran die Geschichte über sexuelles Erwachen als Clash der Kontraste: die strengen Rituale des Adels gegen die Freiheiten des Eros, die starren Schlossmauern gegen die Wildheit der Natur, das Gefängnis der Kostüme gegen die Anarchie der Nacktheit. Und die scheue Geilheit des Beginns, als sich der Wildhüter (wortkarg, von proletarischem Stolz: Jean-Louis Coullo’ch) und die junge Lady (traurig und lebenshungrig: Marina Hands) fast ungläubig aufeinander einlassen, kontrastiert mit einem buchgetreuen Ende, das auch 80 Jahre später noch durch seine unspektakuläre Klischeelosigkeit verblüfft.
Pascale Ferran erzählt von der Konventionen sprengenden Macht der Triebe in bisweilen überdeutlichen Naturmetaphern. Überall blüht und sprießt es, Blüten bekommen Großaufnahmen, es rauschen die Blätter, ein Wolkenbruch illustriert die Ekstase. Dennoch hat sie den Stoff im Griff, auch das Heikle daran; ihr Blick auf die Nacktheit der Protagonisten ist der gleiche, den auch die Figuren selbst haben: verkrampft zu Beginn, immer natürlicher im Verlauf.
Und als die Kamera ein einziges Mal die Erektion des Wildhüters ins Visier nimmt, tut sie das mit den Augen der Lady Chatterley, die so etwas noch nie gesehen hat. Buch und Film erzählen von der unerwünschten Überwindung von Klassen- und Bildungsschranken – und wirken in Zeiten, da die Globalisierung im sozialen Mikrokosmos immer mehr Integrationsdruck aufbaut, wieder erstaunlich aktuell.
Text: Matthias Wagner