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Veronique Olmi

Mit ihrem Romandebüt „Meeresrand“ veröffentlichte die französische Theaterschriftstellerin Véronique Olmi (42) 2002 eins der wichtigsten Bücher. citymag sprach mit der Autorin über Gesellschaftskritik, Feminismus und ihren neuen Roman.

citymag: Frau Olmi, sie beschäftigen sich literarisch mit Kindesmissbrauch, Tod und gestörten Familienstrukturen. Könnte man Ihr Werk als Abgesang auf jegliche Form sozialer Bindung bezeichnen, als apokalyptisch gar?

Véronique Olmi: Nein, überhaupt! Wenn man die Texte genau liest, dann kann man in ihnen sehr viel Liebe entdecken. Ich würde sogar sagen, dass die Liebe das wahre Problem ist. Wenn menschliche Beziehungen einzig und allein in Gleichgültigkeit gelebt würden, dann gäbe es auch kein Leid. In diesem absurden Sinn wäre alles sehr viel einfacher.

citymag: Zur Zeit dominieren in der Literatur sehr düstere Themen. Welche Rückschlüsse lässt das zu?

Olmi: Der Motor für Kreativität ist häufig ein Riss, Aufbegehren oder Schmerz. Und künstlerischer Ausdruck ist die schönste Möglichkeit, mit seinen Neurosen und Verletzungen zu leben.

citymag: Ihr aktueller Roman „Nummer sechs“ handelt von einer Frau, deren Leben scheitert, weil sie nie die Anerkennung ihres Vaters erfahren hat. Ist das eher ein weibliches Problem?

Olmi: Meiner Meinung nach ist das kindliche Bedürfnis nach Liebe und Anerkennung bei Mädchen und Jungen gleich; und auch die Gefühle der Enttäuschung sind für beide Geschlechter identisch. Vielleicht erscheint das nicht so, weil es Frauen leichter fällt, die Problematik zu formulieren und sich in diesem Kontext darzustellen.

citymag: Fühlen sie sich dem klassischen Feminismus verbunden?

Olmi: Vielleicht. Aber der gegenwärtige Feminismus ist viel offener und sanfter. Es geht nicht darum, Männer auszuschließen, sondern Frauen im Zentrum der Gesellschaft zu etablieren und zu fördern. Das einzige, was wirklich zählt, ist Respekt. Und zunächst muss man sich selbst respektieren.

citymag: Arbeiten Sie gezielt mit Schockeffekten?

Olmi: Niemals. Welchen Nutzen sollte das denn haben? Es kann und darf nur um Aufrichtigkeit gehen, nur das ist interessant. Gezielte Schockeffekte sind meist platte und stumpfe Täuschungen, die auch leicht als solche zu enttarnen sind.

Interview: Carsten Schrader

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