Maurice de Vlaminck im Von der Heydt-Museum: „Eine faszinierende Künstlerpersönlichkeit“
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Warum der französische Maler Maurice de Vlaminck dringend wiederzuentdecken ist, erklärt uns Anna Storm, Kuratorin der Ausstellung im Von der Heydt-Museum.
Frau Dr. Storm, warum jetzt wieder de Vlaminck?
Maurice de Vlaminck ist für mich eine absolut faszinierende Künstlerpersönlichkeit, die man in jedem Fall wiederentdecken sollte! Er betätigte sich als professioneller Radrennfahrer, als Boxer, schrieb Romane und verdiente als Violinist seinen Unterhalt, bevor er von der Malerei leben konnte. Er besuchte nie eine Akademie und propagierte mit Nachdruck das Selbstbild eines sozialen und künstlerischen Rebellen, der alle Regeln sprengte. Seine Gemälde, vor allem sein Frühwerk, strotzt vor Farbe und wildem Malergestus. Er gehörte zu jenen Künstlern, die mit einer Ausstellung 1905 im Pariser Salon d’Automne für Aufsehen sorgten. Gemeinsam mit Henri Matisse, André Derain, Albert Marquet, Jean Puy und Georges Rouault stellte er jüngste Werke aus, die besonders durch ihre leuchtenden, befreiten Farben auffielen. Das Publikum war schockiert, es etablierte sich schnell der Begriff „Fauves“ („wilde Tiere“), der zunächst ein Schmähbegriff war. Heute gelten die Fauves und mit ihnen Vlaminck als erste der europäischen Avantgarden, die sich von den akademischen Konventionen lossagte. Auch für die deutsche Kunst ist ihre Bedeutung nicht zu unterschätzen: Die Künstlergemeinschaft „Brücke“ stand den Fauves sehr nahe.
International war Vlaminck gefragt, in Deutschland stellte er bereits 1912 auf der wegweisenden Sonderbund-Ausstellung in Köln aus und im gleichen Jahr in der Berliner Avantgarde-Galerie Der Sturm. August von der Heydt, der als früher Förderer moderner Kunst gilt, kaufte schon 1911 das erste Gemälde von Vlaminck für die Museumssammlung, ein Werk, das sich bis heute in Wuppertal befindet. Insgesamt zählte das Von der Heydt-Museum einst fünf Werke, zwei wurden von den Nazis als „entartet“ entzogen. Eines davon kehrt nun als Leihgabe für die Ausstellung zurück.
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Kunst Museum Winterthur (Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2025)
Die Ausstellung, die das Von der Heydt-Museum gemeinsam mit dem Museum Barberini in Berlin realisiert, ist die erste Einzelausstellung mit Werken Vlamincks in Deutschland seit fast 100 Jahren. Warum wurde er so lange von den Ausstellungshäusern ignoriert?
Storm: Die letzte Retrospektive von Vlaminck in Deutschland war 1929 in der Galerie Flechtheim in Düsseldorf zu sehen. Zu Lebzeiten hat er vielfach und erfolgreich ausgestellt. Doch retrospektiv ist es allgemeinhin Matisse, der als Kopf und Visionär der Fauves gilt. Vlaminck, der sich wiederum selbst als Vordenker der Gruppe verstand, wurde, wie die anderen Maler, in der Rezeption eher zweitrangig wahrgenommen. Vielleicht ist das ein Grund, warum Vlaminck heute weniger bekannt ist? Die Entdeckung seines Werkes lohnt sich daher umso mehr. Unsere Ausstellung gibt einen möglichst vollständigen Überblick über sein Œuvre: von den frühen fauvistischen Werken, über die Auseinandersetzung mit dem Kubismus, bis hin ins kaum bekannte Spätwerk.
Maurice de Vlaminck hat gesagt: „Van Gogh bedeutet mir mehr als Vater und Mutter!“ Was hat ihn so fasziniert an seiner zentralen Inspirationsquelle?
Dieser Ausspruch von Vlaminck stammt aus dem Jahr 1901, nachdem er die erste van Gogh-Retrospektive in der Pariser Galerie Bernheim-Jeune gemeinsam mit André Derain besucht hatte. Die in der Retrospektive ausgestellten Werke von van Gogh machten kräftig Eindruck auf Vlaminck, besonders die kräftigen Farben und der deutlich sichtbare Farbauftrag. Van Gogh war wie Vlaminck Autodidakt und ein Maler, der sich gegen künstlerische Konventionen wandte. Diese revolutionäre Kraft, wie Vlaminck es selbst nannte, bewunderte er an van Gogh.
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Vlaminck gehörte selber zur Avantgarde, Anfang der 40er zog Vlaminck dann gegen die neue Avantgarde um Picasso zu Felde. Er äußerte große Sympathie für die Kunst- und Kulturpolitik der Nazis und ließ sich sogar von Hitlers Lieblingsmaler Arno Brekers porträtieren. Wie sind diese Widersprüche zu erklären?
Es fällt tatsächlich heute schwer, die Beweggründe Vlamincks nachzuvollziehen, die ihn zu der Nähe zum nationalsozialistischen Deutschland und zu Arno Breker bewegt haben mögen. Besonders dann, wenn man berücksichtigt, dass auch die fauvistischen Werke Vlamincks als „entartet“ bezeichnet und in deutschen Museen – unter anderem im heutigen Von der Heydt-Museum – beschlagnahmt wurden. Auch die harsche Kritik, die Vlaminck 1942 an Picasso äußerste, kann man nur als widersprüchlich bezeichnen, denn noch vor dem Ersten Weltkrieg erschien ihm Picasso als so bedeutend, dass er sich künstlerisch mit ihm auseinandersetzte. Eine eindeutige Erklärung für diese Polarität gibt es leider (bisher) nicht.