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Wiglaf Droste ist verstorben

Der Schriftsteller Wiglaf Droste ist verstorben. Das berichtet die Tageszeitung Junge Welt, für die Droste regelmäßig Kolumnen schrieb.

Wiglaf Droste ist tot. Das berichtet die Junge Welt, für die Droste regelmäßig Kolumnen schrieb, in einer Eilmeldung. Droste starb mit gerade mal 57 Jahren „nach kurzer, schwerer Krankheit“ im fränkischen Pottenstein. Wiglaf Droste war seit den späten 1980ern einer der streitbarsten Kolumnisten Deutschlands, anlässlich seiner Lesungen kam es vor allem in den frühen Jahren seines Schaffens gerne zu  Protestaktionen oder gar Tumulten. Manchmal musste eine Veranstaltung gar abgebrochen werden. Dabei war Droste ein äußerst sensibler Mensch, der als Schriftsteller die Polemik als Stilform allerdings perfekt beherrschte. Droste erhielt für sein literarisches Schaffen den Ben-Witter-Preis (2003), den Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis (2005) sowie den Göttinger Elch (2018).

In einem Interview, das dieser Verlag in der Zeitschrift u_Mag im Jahr 2007 veröffentlichte, spricht Wiglaf Droste über Sprache als Heimat und Widerstand.

„Wir sind Tünsel“

Wir befinden uns im Jahr 2007 n. Chr. Ganz Germanien ist von Gammelsprechern besetzt. Ganz Germanien? Nein! Ein unbeugsamer Sprachkünstler hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Der rauflustige Wiglaf Droste fürchtet sich eigentlich nur vor einem – dass ihm die Heimat flöten geht.

Interview: Jürgen Wittner

Herr Droste, in einem Ihrer Texte halten Sie den Spruch Ihres Vaters fest: „Wir sind Tünsel.“ Sie leiten daraus die Einsicht in die allumfassende Fehlbarkeit des Menschen ab. Außerdem schreiben Sie, dass Sie aus der Sprache dieses tünseligen Ostwestfalen Ihr Heimatgefühl bezögen. Ist Sprache Ihre Heimat?
Wiglaf Droste: Ja.
Nicht ein Land, die Menschen, Freunde oder eine vertraute Umgebung?
Droste: Sprache ist ja untrennbar mit Menschen verbunden. Sie ist kein Selbstzweck, sie ist ein Mittel der Verständigung. Je detaillierter man sie beherrscht, desto genauer und unmissverständlicher kann man sagen, was man denkt, empfindet und zu sagen hat. Deswegen ist es klug, das Instrument Sprache fortwährend zu verfeinern. Das ist kein selbstverliebter Akt und auch kein Akt der reinen Sprachliebe, sondern es geht darum, durch diese Sprache zu anderen zu sprechen, die dann auch zurücksprechen.
In einem früheren Interview sagten Sie mal: „Schreiben ist Weltdurchdringung, Singen ist Religion. Beim Schreiben zerfällt die Welt in ihre einzelnen Teile, im Gesang wird alles eins.“
Droste: Wobei es auch in der Dichtung gelingen kann, alles eins werden zu lassen. Es gibt unterschiedliche Formen des Schreibens, es gibt das Analytische und das Poetische, mal ist das jeweils in Reinform vorhanden, manchmal mischt es sich. Und diese Verbindung von – populär ausgedrückt – Verstand und Gefühl, von Kopf und Herz macht die Sache erst perfekt. Eins von beiden läuft immer Gefahr, etwas Entscheidendes auszuklammern. Jemand, der im Gefühl steckenbleibt, wird leicht kitschig; jemand, der nur im Verstand unterwegs ist, wird schnell fischig, also kalt.
Erzählen Sie mir doch von Ihrem ersten wichtigen Erlebnis mit Sprache.
Droste: Ich ging noch nicht zur Schule und konnte noch nicht lesen, als mein älterer Bruder bei einem Frühlingsaufenthalt an der Ostsee mit mir in einem Zimmer in der Pension übernachtete. Er war bereits des Lesens kundig und las Karl May, „Unter Geiern“. Er war ganz offensichtlich fasziniert. Ich war fünf, er war sieben. Ihm gefiel das Buch, also bat ich ihn, laut zu lesen. Auch meine Eltern forderten ihn dazu auf. Aber kaum hatten sie das Zimmer verlassen, las er wieder leise und nur für sich. Da habe ich festgestellt: Sprache ist Macht. Lesen können ist Macht. Daraufhin bat ich meine Eltern, mir das Lesen beizubringen.
Gerhard Henschel, mit dem gemeinsam Sie schon öfter schrieben und publizierten, erzählt in seinem „Kindheitsroman“, wie er eine anarchische Familienzeitung schreibt und sie zum Entsetzen der Verwanden in der Familie herausbringt. Wann begannen Sie zu schreiben?
Droste: Ich habe keine Familienzeitung gegründet, aber ab Ende der Mittelstufe für die Schülerzeitung geschrieben, und als die Verantwortlichen Abitur gemacht hatten, haben wir Jüngeren auch die Redaktion übernommen. Ich durfte dann feststellen, dass Schreiben zu großen Schwierigkeiten führen kann. 1979 wurde die RAF-Angehörige Elisabeth van Dyck in Nürnberg von zwei Polizisten von hinten erschossen, es hieß dann: „in Notwehr“. Eins hatte ich aber schon im Western gelernt: Von hinten schießen ist niemals Notwehr. In einem Text in der Schülerzeitung habe ich das thematisiert, es ging dabei gar nicht darum, Partei zu ergreifen für die RAF, sondern ich hatte mir die Bielefelder Lokalpresse vorgenommen, die bluttriefend jubelte, das sei ein großer Sieg, der Staat habe Zähne gezeigt und so weiter. Diese Journalisten äußerten eine Befriedigung, als ob sie selbst mitgeschossen hätten. Die Elternpflegschaft meiner Schule verlangte dann meine Relegierung vom Gymnasium. Der sozialdemokratische Schulleiter aber, der auch ehemaliger Amateurboxer war und ein sportlicher Typ im Sinne des Fair Play, reagierte gut und sagte: Das halten wir aus. Hier empört sich ein junger Mann über sprachliche Grausamkeit; das heißt doch, dass er bei uns etwas gelernt hat. Und schwupps war der Antrag vom Tisch gewischt.
Wenn Sie sagen, die Sprache sei Ihre Heimat, ist das dann der Grund dafür, dass Sie sie auch immer wieder zum Thema Ihrer Texte machen? Möchten Sie den Dreck aus Ihrem Heim rauskehren?
Droste: Das ist zum Glück nur ein Aspekt der Arbeit. Es hat vor 325 Jahren schon Leibniz die Hände darüber gerungen, dass niemals so wie im Jahre 1682 die deutsche Sprache verludert und verschludert gewesen sei, und sein Hauptklagepunkt dabei war die Überschwemmung der deutschen Sprache durch das Französische. Da hat er sich fürchterlich echauffiert – schon wieder ein französisches Wort! – und damit sehr viel Energie verschleudert. Schopenhauer hat minutiös aufgeschrieben, welche journalistischen Formulierungen für ihn das Allerletzte und Dümmste waren. Er hatte Recht, aber fast alle dieser Formulierungen haben es in den Duden geschafft. Sie sind übernommen worden, die Sprache hat sie geschluckt. Man muss der Sprache auf lange Sicht vertrauen. Die Sprache verträgt eine Menge.
Menschen, über die Sie schreiben, schlucken aber nicht alles. Bzw. sind beleidigt und klagen, wie die Bundeswehr, nachdem Sie einen Soldaten einen Waschbrettkopf genannt hatten.
Droste: Der Fall „Waschbrettkopf“ war wirklich schön. Der mich vertretende Anwalt Götz von Olenhusen, der nicht nur Jurist ist, sondern eigentlich in erster Linie Literat, hatte einen klugen, humorvollen und deshalb angemessenen Ansatz zur Verteidigung: Das Wort „Waschbrettkopf“ gibt es nicht, es ist nicht definiert. Wie also kommt die Klägerpartei zu der Auffassung, es sei beleidigend? Ist ein „Waschbrettkopf“ nicht vielleicht etwas Positives? Das prüfen wir doch mal! Und dann haben wir Schriftsteller, Dichter, Karikaturisten, Zeichner, Maler gebeten, uns in der ihnen zur Verfügung stehenden Form ein Gutachten zu erstellen: Was ist ein Waschbrettkopf? Wir haben auch die Duden-Redaktion angefragt, und von dort haben wir einen wunderbaren Brief bekommen. Die Duden-Redaktion nämlich verfährt so, dass neue Wörter zunächst nicht „in die deutsche Sprachfamilie“ aufgenommen werden, sondern erst einmal in einem Vorraum unserer Sprachfamilie verbleiben und dort beobachtet werden. Wenn ein neues Wort sich über einen Zeitraum von 15 Jahren quasi bewährt hat, dann wird es in die Sprachfamilie aufgenommen. Ich fand dieses Bild so schön und richtig süß: „Sprachfamilie“. Da sitzen also alle Familienmitglieder zusammen, vom Urenkel bis zum Uropa, ein paar sind auch schon scheintot oder hinüber und keiner merkt es, andere spielen zusammen, und draußen stehen die, die auch dazugehören wollen. Ein großartiges Bild! All diese Gutachten haben wir dem Gericht vorgelegt, die Richter haben sich das nicht einmal angekuckt. Das war so eine Mappe mit 80 bis 100 Gutachten, unglaublich schöne Zeichnungen waren dabei. Der Vorsitzende Richter hat nur gesagt, das nehme ich alles als gegeben hin, hat die Gutachten keines Blickes gewürdigt und auf die Seite gelegt. Da hätte ich weinen können über soviel Ignoranz.
Ihre Reaktion drückt zudem aus, was Sie im Gegensatz zu vielen Ihrer Kollegen nicht sind: ein eiskalter Satiriker. Warum eigentlich?
Droste: Eiskalt trifft auf mich tatsächlich nicht zu. 1990/91 war ich für ein Jahr Redakteur der Satirezeitschrift Titanic. Länger habe ich es in dem Milieu nicht ausgehalten, was überhaupt nichts damit zu tun hat, dass ich dort unangenehme Kollegen gehabt hätte. Sondern da drehen sich die tatsächlichen Verhältnisse um. Menschen, die die Welt auch satirisch betrachten, sind eine winzige Minderheit. In der Titanic-Redaktion sind es aber immer 100 Prozent. Das hat den Vorteil, dass man die Kräfte bündeln kann – aber den großen Nachteil, dass man tatsächlich in einer Parallelgesellschaft lebt. Erschwerend kommt noch hinzu, dass wirklich alles, also jede Empfindung, jede Äußerung sofort auf dem Schragen landet, auf dem Obduktionstisch, und sehr kalt beleuchtet werden kann. Als Lektion ist das in Ordnung, meine Lebenshaltung ist das nicht. Wenn Interviewer fragen, „Ist Ihnen denn gar nichts heilig?“, dann kann ich nur sagen, es tut mir leid, lesen Sie meine Texte nicht? Ich nehme nun wirklich sehr viele Gegenstände und Personen von einem kalten, sezierenden, rein analytischen, ätzenden Blick aus. Ein Beispiel: Ich weiß um die Schwächen des Sängers Van Morrison. Trotzdem kann ich diesen seelenvoll singenden, suchenden Mann nicht nur analytisch betrachten. Ich muss ihn mir auch nicht schönlügen, aber es gibt eben Fehler, die nicht so ins Gewicht fallen.
Noch mal zum Thema Heimat. Ihre Arbeit für die Taz haben Sie beendet, Sie sind aus Berlin weggezogen und haben sich schon lange nicht mehr kolumnistisch mit Kreuzberg beschäftigt. Haben Sie Ihre literarischen Zelte in der alten Heimat schon länger abgebrochen?
Droste: Von Franz Dobler stammt der Satz: „Heimat ist da, wo man sich aufhängt.“ So weit wollte ich es nun wirklich nicht kommen lassen. Mein Verhältnis zum Wort Heimat ist vielleicht am besten in einem Vierzeiler zusammengefasst, den ich vor knapp 20 Jahren schrieb: „Schön ist die Heimat / So man sie hat / Schön ist der Hering / Besonders der Brat-.“ Oder noch anders gesagt: Das Pathos des Wortes Heimat wird in dem Moment entlarvt, wo man es im Plural verwendet, den dieses Wort nicht hat: Mehrere Heimate oder Heimaten gibt es nicht. Im Wort Heimat steckt die Tümelei noch nicht drin, aber sie steht direkt vor der Tür.

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