„Wir sind in der Situation, in der alles neu ausgelegt wird.“
Mit seiner Kunst löst er schonmal einen Skandal aus. Für Daniel Knorr ist Kunst dennoch nicht politisch. Ein Gespräch darüber, warum sie für unsere Gesellschaft jedoch von entscheidender Bedeutung ist.
Auf der letzten documenta ließ Daniel Knorr weißen Rauch aus dem Kasseler Zwehrenturm aufsteigen. 2005 löste er mit einem leeren Pavillon auf der Venedig-Biennale einen Skandal aus. Nun zeigt er mit „Daniel Knorr. We make it happen“ seine neuesten Werke.
Daniel, bislang gab es noch keine institutionelle Ausstellung von dir in Deutschland. Wie kommt es jetzt zu dem Blick auf dein Gesamtwerk in der Kunsthalle Tübingen?
Daniel Knorr: Ich hatte mit der Kuratorin Nicole Fritz bei der Triennale in Fellbach zusammengearbeitet, und sie lud mich dazu ein, in der Kunsthalle Tübingen auszustellen. Also haben wir gesagt: Lass uns eine Show zusammen machen! Es werden dort drei brandneue Arbeiten präsentiert, die den Hauptteil der Ausstellung einnehmen. Daher kann man nicht in erster Linie von einer Retrospektive sprechen. Aber ab Fünfzig macht man das ja so. (lacht) Es ist somit vielleicht ein erster Schritt in diese Richtung. Und weil ich in so vielen Richtungen gearbeitet habe, ist es schon interessant, alles mal zusammen zu sehen.
In deiner kommenden Ausstellung „We make it happen“ zeigst du unter anderem auch deine neuesten Werkgruppen „Depression Elevations“ (seit 2013) und „Canvas Sculptures“ (2020). Für beide Arbeiten nutzt du knallige Farben und Kunstharz. Was bedeutet dir die Farbigkeit und worum geht es dir bei den Werkgruppen?
Daniel: Die Farbigkeit ist eine Reaktion auf öffentliche Plätze, die manchmal knallig bunt sind, manchmal aber auch stark reduziert oder monochrom. Zudem sind die Werke Reaktionen auf bestimmte geschichtliche Entstehungsmomente, die in den 60er-Jahren, als die Minimal Art entstand, verankert sind. Mit den „Canvas Sculptures“ beziehe ich mich auf die Moderne, indem die Skulpturen Werke aus der Moderne herausziehen und diese räumlich werden lassen. Die Strukturen sehen so aus, als würde man die Farbe von der Leinwand lösen, sodass diese dann als Skulptur frei im Raum stehen, sich falten und verbiegen können. Damit reagieren sie auf die Höhen und Tiefen unseres Alltags. Sie positionieren sich jedoch auch geschichtlich neu: Eines dieser neuen Werke stellt eine zweite Sichtweise auf Picassos „Les Demoiselles d’Avignon“ dar. Picasso hat die Herkunft der Damen in dem Gemälde – es waren Sexarbeiterinnen aus Avignon – in ihren Gesichtsausdrücken verdeutlicht. Ich füge dem neuen Bild, „Les Demoiselles d’Avignon Dimension added“, eine weitere Dimension hinzu, in der die Gesichter vielleicht gar nicht mehr zu sehen oder Teile der Malerei abstrahiert sind. Genauso werden Teile des Werkes hinterfragt oder neu dargestellt. Es zeigt, wie sich Sichtweisen verändern können und auch die Genderdiskussion heute eine andere ist als vor hundert Jahren. Somit sind die „Canvas Sculptures“ eine Reaktion auf unsere Zeit.
Du sprichst von Materialisierung, wenn es darum geht, Situationen oder Themen zu verbildlichen. Die derzeitige Lage ist von der Pandemie und damit ausgelösten Krisen in etlichen Lebensbereichen geprägt. Wie materialisierst du die Krise?
Daniel: Meine neue Werkreihe „Depression Elevations Minimal“, die gerade noch am entstehen ist, beschreibt den Moment. Diese Serie habe ich Ende 2019 in Hongkong angefangen. Das sind tropfenartige Gebilde, die gerade im Begriff sind, sich von der Oberfläche zu lösen und dann erstarren. Sie erscheinen sehr biologisch und erinnern damit möglicherweise an unsere Zeit, an Viren oder auch an Gebilde, die diese Viren bekämpfen. Aber man kann nicht sagen, dass in meiner Arbeit eine Krise sichtbar wird. Für mich ist Kunst auch nicht politisch, sie kann aber politisch instrumentalisiert werden. Wir sind in der Situation, in der sich alles verändert und neu ausgelegt wird. Man kann die Werke also absolut zeitgemäß belegen – das liegt immer am Betrachter und daran, wie etwas gesehen wird.
In deinen Arbeiten geht es oft um die sensorische Wahrnehmung, bei der auch das Publikum interaktiv einbezogen wird. Was bedeutet es für dich, die Menschen nicht nur sensuell anzusprechen, sondern sie auch zur Aktion aufzufordern?
Daniel: Die Arbeiten, in denen ich das Publikum miteinbeziehe, nutzen den Moment, wenn die Menschen nicht nur durch ihre Blicke agieren. Wenn man durch eine Ausstellung geht, dann wird man mit dem kulturellen Kanon der Ausstellung belegt. Man geht raus und spricht darüber – da entsteht eine Wechselwirkung zwischen diesen Meinungen. Man reagiert darauf, materalisiert das, was man gesehen hat. Und diese Wechselwirkung zwischen den Menschen, die darüber sprechen, das ist das, was wir heute als Kultur bezeichnen.
Interview: Janka Burtzlaff
Daniel Knorr. We make it happen Kunsthalle Tübingen: 27. 6.–20. 9.
Mehr Infos zur Ausstellung gibt es auf der Homepage der Kunsthalle Tübingen.