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Wolfgang Herrndorf: Bilder deiner großen Liebe

Eine weitere Zugabe wird es nicht geben: Mit „Bilder deiner großen Liebe“ erscheint nun das Romanfragment, an dem Wolfgang Herrndorf bis zu seinem Tod gearbeitet hat und das seine engen Freunde und Herausgeber Marcus Gärtner und Kathrin Passig ohne allzu große Eingriffe aufbereitet haben. Der Text greift eine Figur aus „Tschick“ auf, die in Herrndorfs Bestseller einen kurzen, aber unvergesslichen Auftritt hatte, um ihre Geschichte ausführlicher zu erzählen: die 14-jährige Isa, die Maik und Tschick auf der Müllkippe treffen, und die ihnen zeigt, wie sie Benzin in den geklauten Lada füllen können.

Isa bricht aus einer Anstalt aus, sie wandert durch Wälder und an der Autobahn gelegene Dörfer, wo sie auf viele merkwürdige Menschen trifft: Ein Binnenschiffer erzählt ihr von einem Bankraub, den er vor vielen Jahren angeblich begangen hat, ein Fernfahrer holt sich auf ihr Aussehen einen runter, und auf dem Friedhof trifft sie auf einen Mann, der sich anhand seiner grünen Trainingsjacke als Herrndorf selbst identifizieren lässt.

Dass der Episodenroman unvollendet geblieben ist, schadet dem Buch nicht: Inhaltliche Widersprüche und Lücken steigern nur die Faszination für die unzuverlässige Erzählerin Isa. In seinem Kampf mit der Krankheit hat sich Herrndorf eine Begleiterin an seine Seite geholt, die zu gleichen Teilen pubertierendes Straßenkind und allwissende Engelsgestalt ist. Durch sie entlarvt er das Deutschland der Autobahnen, in ihrem nicht näher ausgeführten Schmerz kann er das eigene Hadern mit dem Hirntumor legen und seinen Ruf als einer besten Autoren der vergangenen Jahrzehnte ein allerletztes Mal unterstreichen. So endet „Bilder deiner großen Liebe“ mit Isa, die allein mit einer Waffe in einem Wald ist. Und mit einem vermeintlich letzten Satz: „Ich halte die Waffe genau senkrecht hoch und sehe mit offenem Mund der Kugel hinterher, sehe sie steigen, sehe sie immer kleiner und kleiner und fast unsichtbar werden im tiefdunklen blauen Himmel, bevor sie sich aus dem Verschwundensein wieder materialisiert und zu fallen beginnt, millimetergenau zurück in den Lauf der Waffe. (cs)

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