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„WTF is Jule?!“ Doku über Jule Stinkesockes Lügen

Die Dokuserie „WTF ist Jule?!“ läuft nach Mitternacht linear im ZDF und kann zum Glück für alle jederzeit in der ZDF-Mediathek gestreamt werden.
Die Dokuserie „WTF ist Jule?!“ läuft nach Mitternacht linear im ZDF und kann zum Glück für alle jederzeit in der ZDF-Mediathek gestreamt werden. (Foto: ZDF/Lena Buck)

Jule Stinkesocke war eine behinderte junge Ärztin, der im Leben alles gelang. Dann flog auf, dass die Bloggerin ein einziger Fake eines Abteilungsleiters in einem Schwimmverein war.

Zu unverschämt nachtschlafender Zeit um 0.25 Uhr wird der Vierteiler „WTF is Jule?!“ über die Fake-Bloggerin Jule Stinkesocke“ im ZDF ausgestrahlt. Lediglich im Stream  in der ZDF-Mediathek kann man diese so wichtige Doku jederzeit sehen. Jule Stinkesocke wurde 2023 als Fake-Identität geoutet, vorher war sie als vermeintlich querschnittsgelähmte junge Frau im Netz ein Rolemodel für viele behinderte Menschen: Sie studierte Medizin und wurde Ärztin, sie schwamm ambitioniert im Schwimmsportverein, sie adoptierte eine querschnittsgelämte Teenagerin, und sie twitterte und bloggte überaus erfolgreich, wofür sie Auszeichnungen erhielt. Aber es war ohne Ausnahme schlicht alles ein Fake.

Wenn man – wie der Rezensent dieser Doku – im Netz zunächst niemals leichtgläubig ist; wenn man jede Bewertung auf einem Onlinekaufportal auf Seriosität überprüft, ja sogar dem Anbieter eines sensationell günstigen Produkts sofort unterstellt, ein Betrüger zu sein, wenn man also entsprechend vorsichtig und fast schon paranoid ist, dann möchte man alle Geschädigten der Fakefigur Jule Stinkesocke einmal kräftig durchschütteln und wecken: Wie könnt ihr so doof sein, auf dieses Profil reinzufallen? Das Gute an der Dokuserie „WTF is Jule?!“ nun aber ist: Sie weiß diese Haltung kräftig zu erschüttern und als durchaus arrogant einzustufen. Das gelingt der Serie nicht nur durch ihren Moderator, den Schauspieler Maximilan Mundt („How to sell Drugs online (fast)“, „Ze Network“). Nein, der Vierteiler beleuchtet den Skandal um diese fiktive Figur aus unterschiedlichen Blickwinkeln und benennt so den Schaden, den die virtuelle Jule Stinkesocke angerichtet hat, ganz genau. Und das, obwohl bis heute nicht klar ist, was von diesen Lügen wirklich justiziabel war.

Kurz zu den Fakten: Die Person, die die Figur Jule Stinkesocke erfand, ist zu 99 Prozent der Vorsitzende eines Schwimmvereins für behinderte Menschen, ein Mann Ende 40. Er sitzt im Rollstuhl, die Doku nennt ihn Boris. In einem kurzen Statement leugnet Boris jegliche Beteiligung am Blog, gleichwohl sagt ein Wissenschftler, nachdem er mithilfe von forensischer Linguistik Jules Blogbeiträge mit Beiträgen von Boris auf der Webseite des Schwimmvereins verglichen hat, dass Boris und Julia identisch seien. Nur zu 99 Prozent, weil er grundsätzlich keine 100 Prozent vergibt. Bleibt die Staatsanwaltschaft. Da ist die Doku etwas schmallippiger. Eine Anklage gegen Jule Gothe – so ihr angeblicher Name in der analogen Welt –  wegen Spendenbetrugs kam nicht zustande, weil Jule nicht existent ist. Warum keine Anklage gegen den Empfänger der Spenden – Boris, der sich davon ein neues Auto gekauft hat –, erfolgt, wird im Vierteiler nicht geklärt.

Was hingegen hervorragend herausgearbeitet wird, ist der immense Missbrauch, den dieser Mann begangen hat an behinderten Frauen unterschiedlichen Alters, die sich mit der Fake-Identität Julia Stingesocke auf vermeintlich vertrauensvoller Ebene austauschten und dabei immer wieder auch intime Dinge preisgaben. Ein Psychologe erkärt den Begriff des Catfishings, es wird aber auch zur Vorsicht gemahnt beim An-den-Pranger-Stellen des Täters, indem man auf den Fall der Historikerin Marie-Sophie Hingst aufmerksam macht, die sich in ihrem Blog eine falsche Identität als Jüdin gab und sich nach der Aufdeckung ihres Falls und nach einem heftigen Shitstorm das Leben nahm. Doch zurück zu Jule: Die Doku arbeitet ebenfalls heraus, wie der Autor sich zunächst auf dem Portal Planet Liebe unter insgesamt 20 Fake-Accounts ausprobiert und hinterher fast alle Texte von da in Jules Blog übernimmt.

Jule: Leistungssportlerin, Ärztin, Bloggerin, Pflegemutter, Rolemodel. Behindert. Jule ebenfalls: komplett Fake. Im Weg tobt bis heute ebenfalls ein Streit zwischen denen, die enttäuscht sind und verletzt, und denen, die noch immer behaupten, dass Jule echt sei. Wie das möglich ist? Keine Ahnung. Anscheinend gibt es analog zu Klimaleugnern etc. auch Menschen, die eine Überführung von Missbrauch und Fake-Identität wegleugnen können.

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