Y’akoto: Mermaid Blues
Zuschreibungen sind Y’akoto ein Greuel. Das hat sich auch beim neuen Album „Mermaid Blues“ nicht geändert. Politische Fragen reicht sie aber trotzdem lieber an eine extrem populäre Kollegin weiter.
Die meisten Künstler machen es einem wunderbar leicht: ein Genre, eine Heimat, eine Position auf der Karriereleiter. Bei Y’akoto funktioniert ein kompakter Texteinstieg jedoch gar nicht, denn die Musikerin macht es sich gerne zwischen solchen trennscharfen Fakten gemütlich. Geboren in Hamburg, als Kind aufgewachsen in Ghana und mittlerweile pendelnd zwischen Hamburg, Paris, Stockholm und ein paar anderen Metropolen, schreibt die 28-Jährige Songs, die urbanen Soul und eingängigen Pop vereinen. Die Newcomerschwelle hat sie mit ihrem Debütalbum und dem ersten Charterfolg schon 2012 überschritten, für eine Souldiva ist sie zu jung, für einen Popstar ist ihr Radius zu klein.
Auf die Vorgängerplatten „Babyblues“ und „Moody Blues“ folgt nun „Mermaid Blues“. Der Blues bleibt der rote Faden, und so langsam wird deutlich, dass Y’akoto mit diesem Wort mehr meint als ein Musikgenre. Doch was ist der Blues für sie? Eine Stimmung, ein Lebensgefühl? „Es ist der Ursprung“, stellt sie ohne Zögern klar, „der Ursprung aller populären Musik. Deswegen habe ich mich sehr früh dazu entschieden, eine Hommage an den Blues zu kreieren. Ich bekenne mich damit zu meinen Wurzeln und zu schwarzer Kultur.“
Merkwürdig, aber irgendwie doch folgerichtig, im Gespräch mit der Grenzgängerin Y’akoto gleich am Anfang des Gesprächs auf die Geburtsstunde der Popmusik zu kommen. Doch es bleibt die Frage, wie viel vom besagten Ursprung à la Bessie Smith in Y’akotos Songs noch zu hören ist, die natürlich um einiges softer klingen als das, was man vor 100 Jahren auf die Schellackplatte presste. „Ein Blues ist ja in erster Linie ein Song, der narrativ ist“, kontert Y’akoto. „Ich fand es immer interessant, wenn sich Songs nicht im abstrakten Universum der Poesie verlaufen, sondern so nah wie möglich am Leben sind. Darum geht es auch bei ‚Mermaid Blues’: Ich schreibe ganz einfach aus der Sicht einer Frau, die in dieser Welt lebt.“
Ihre Musik nennt Y’akoto, die mit vollem Namen Jennifer Yaa Akoto Kieck heißt, daher auch Soul Seeking Music. „Ich weiß, das klingt ein bisschen esoterisch“, gibt sie zu, „aber für mich ist es der Inbegriff des Lebens. Ich akzeptiere die Realität, dass man nicht immer findet, sondern die meiste Zeit dabei ist, irgendwas zu suchen.“
Allmählich wird klar, dass Y’akoto nicht nur auf der Suche, sondern irgendwie auch auf der Flucht ist. Auf der Flucht vor der immer noch weit verbreiteten Annahme, einen einzigen Ort zur Heimat machen zu müssen. Y’akoto flieht vor dem Endgegner der Kreativität: Routine. „Ich hatte mal eine Tanzlehrerin, die hat gesagt: Lethargie macht dick,“ erzählt Y’akoto lachend, „dick und unzufrieden. Natürlich war das ironisch gemeint, aber es ist mir in Erinnerung geblieben. Ich habe früh gemerkt, dass Routine nicht gut für meine Ideen ist, und ich war schon immer der Meinung, dass die vorherrschende Heimatdefinition einfach überholt ist. Deswegen lebe ich nach dem Motto: ‚50 Shades of Home’“.
Nun wird eben diese althergebrachte Definition von Heimat von konservativen Politikern in den USA und Europa wieder verstärkt angewendet und immer enger festgezurrt. Hat man da als Künstlerin das Gefühl, sich wieder stärker positionieren zu müssen? „Ich werde in letzter Zeit sehr oft mit dieser Frage konfrontiert. Ich finde sie auch berechtigt und habe eine klare Haltung zu den Themen. Aber ich stehe mit meiner Person ja schon für eine Mischkultur und nehme eine bestimmte Position ein. Und was habe ich denn für eine Reichweite? Da interessiert mich dann schon: Fragt man Helene Fischer eigentlich das gleiche?“
Johannes Middelbeck