Youn Sun Nah: She moves on
Mit ihrem Album „She moves on“ erobert die koreanische Jazzsängerin Youn Sun Nah die Popwelt – dabei war ihre Musikkarriere zunächst kaum mehr als eine naive Idee.
Frau Nah, Ihre CD heißt „She moves on“. Bringt das Ihre Lebensphilosophie auf den Punkt?
Youn Sun Nah: Tatsächlich habe ich dieses Lied zum Albumtitel gemacht, weil ich ständig unterwegs bin. Ich wurde in Südkorea geboren, zum Studieren bin ich nach Paris gegangen, danach habe ich einen Vertrag bei einer deutschen Plattenfirma unterschrieben. Ich begann, auf der ganzen Welt Konzerte zu geben. Und mein neues Album habe ich in New York aufgenommen. Bei mir gibt es also nie Stillstand. Ich bewege mich stetig weiter.
Haben Sie deshalb das Lied „Traveller“ geschrieben?
Nah: Ich bin definitiv eine Reisende, die ein Nomadenleben lebt. Das ist in erster Linie meiner Zeit in Paris geschuldet. Erst dort wurde mir klar, dass man mit dem Zug mühelos kreuz und quer durch Europa reisen kann. Fortan war ich nur noch auf Achse.
Jetzt leben Sie wieder in Südkorea.
Nah: Das ermöglicht es mir, mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Trotzdem bin ich viel unterwegs. In New York habe ich gleich mehrere Wochen am Stück verbracht.
Wie kam es dazu?
Nah: Im vergangenen Sommer habe ich mir eine Pause gegönnt, während der ich mir in New York ein paar Konzerte angesehen habe. Das hat mich beflügelt, mich intensiver mit amerikanischen Musikern zu beschäftigen. Ich habe Kontakt zu dem Avantgardisten Jamie Saft aufgenommen, und uns war schnell klar, dass wir miteinander arbeiten wollen. Aus diesem Experiment ist meine Platte „She moves on“ entstanden.
Neben wenigen Eigenkompositionen interpretieren Sie hauptsächlich unbekanntere Lieder von berühmten amerikanischen Singer/Songwritern.
Nah: Bei der Auswahl des Repertoires habe ich mich allein von meinen Gefühlen leiten lassen. Natürlich hätte ich mich für Joni Mitchells „River“ oder „Both Sides“ entscheiden können. Doch „The Dawntreader“ zog mich geradezu magisch an.
Ist es nicht ein Risiko, ausgerechnet eine Joni-Mitchell-Nummer zu interpretieren? Sie ist für ihre Fans eine Ikone…
Nah: Das weiß ich. Für meine CD „Same Girl“ hatte ich ja Metallicas „Enter Sandman“ eingespielt: Anfangs war mir nicht wohl dabei. Ich habe mich vor den Reaktionen der Metallica-Fans gefürchtet, weil ich keine Ahnung von Metal habe. Mein Produzent musste mich erst davon überzeugen, dass das keine Rolle spielt. Es geht ja nicht darum, das Original zu imitieren, sondern eine eigene Version zu finden.
Haben Sie diesen Leitsatz inzwischen verinnerlicht?
Nah: Vor Joni Mitchells Songs habe ich nach wie vor Respekt. „The Dawntreader“ war für mich bei der „She moves on“-Produktion die größte Herausforderung. Der Text ist wie ein Gedicht. Es hat eine Weile gedauert, bis ich ihn auswendig gelernt und mir wirklich zu eigen gemacht hatte.
Auch bei Ihnen kommt „The Dawntreader“ sehr getragen daher.
Nah: Balladen liegen mir halt am meisten. Wir Koreaner tragen eine gewisse Melancholie in uns, die sich wohl am ehesten mit der portugiesischen Saudade vergleichen lässt. Deswegen kann ich mit einem traurigen Lied mehr anfangen als mit einem fröhlichen.
Daran lässt Ihr neues Album keinen Zweifel. Ist es mehr dem Folk verpflichtet als dem Jazz?
Nah: Diese Frage stellt sich mir gar nicht. Ich bin mit koreanischem Pop aufgewachsen. Andere Genres habe ich erst nach meinem Umzug nach Paris entdeckt. Von Folk bis Rock habe ich damals alles wie ein Schwamm aufgesogen. Und komischerweise klang für mich jede Art von Musik irgendwie nach Jazz.
Wieso denn das?
Nah: Ich habe in den meisten Titeln unzählige Improvisationsmöglichkeiten ausgemacht. Damit sind sie für mich in die Kategorie Jazz gefallen.
Lag das daran, dass Sie Jazz studiert haben?
Nah: Zum Jazz bin ich gekommen wie die Jungfrau zum Kind. Nach meinem Literaturstudium habe ich für eine Modefirma gearbeitet – aber weil ich schnell gemerkt habe, dass das nicht meine Welt ist, habe ich gekündigt. Dann hat mir ein Regisseur ein Engagement in der koreanischen Version des Musicals „Linie 1“ angeboten. Ich habe gezögert, doch er hat mir versichert, ich müsse weder schauspielern noch tanzen, sondern bloß singen. Das war die Initialzündung: Ich beschloss, Sängerin zu werden. Mit 25 war ich allerdings schon zu alt für eine klassische Gesangsausbildung. Deswegen hat mir ein Freund geraten, in Richtung Jazz zu gehen.
Sind Sie ihm dafür ewig dankbar?
Nah: Ich habe mich völlig naiv in dieses Abenteuer gestürzt. Wenn ich gewusst hätte, was Jazz wirklich ist, hätte ich niemals den nötigen Mumm gehabt.
Gab es während Ihres Studiums Momente, in denen Sie an sich gezweifelt haben?
Nah: Ich war kurz davor, mein Studium abzubrechen, weil ich mir sicher war, dass ich einen Standard nicht so gut wie Ella Fitzgerald oder Billie Holiday interpretieren konnte. Meine Versuche, diese Sängerinnen zu imitieren, scheiterten in schöner Regelmäßigkeit, und ich war richtig deprimiert. Doch dann haben mir meine Lehrer etwas ganz Wesentliches beigebracht: In erster Linie kommt es darauf an, eine eigene musikalische Sprache zu finden.
Interview: Dagmar Leischow
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