Zart im Abgang
Die gegenwärtige Krise haben die Detroiter Postpunks von Protomartyr vorausgeahnt. Jetzt blickt Sänger Joe Casey voller Optimismus auf die Zeit nach der Pandemie.
Joe, fühlst du dich wie ein Prophet, weil das apokalyptische, fünfte Protomartyr-Album jetzt während der Corona-Pandemie erscheint?
Joe Casey: Ich habe die Texte vor über einem Jahr geschrieben, als es mir psychisch und auch körperlich sehr schlecht ging. Während meine Freunde den Sommer genossen haben, bin ich in meiner Wohnung geblieben, habe unter Schlaflosigkeit gelitten und mich extrem einsam gefühlt. Es ist schon beängstigend, dass jetzt die ganze Welt unter dieser Krankheit leidet. Trotzdem hoffe ich nicht, dass ich ein Prophet bin, denn um wieder kreativ sein und schreiben zu können, habe ich mir vorgestellt, dass es die letzte Platte ist, die ich schreiben werde.
Mit „The Aphorist“ hast du auch den Boom von Verschwörungstheorien vorausgesehen.
Casey: Auf jedem Album gibt es einen Song, in dem ich mit der Frage hadere, ob es für mich überhaupt Sinn ergibt, dass ich Texte schreibe. Einerseits gibt es so viele Autoren, die klarer sind, und auf der anderen Seite stehen all die Bands, die mit leeren Slogans hantieren. Ich mache mir selbst Mut, dass es okay ist, mit meinen obskuren Lyrics in einer Welt voller sinnloser Dinge nach einem Sinn zu suchen.
Früher hast du betont, zu deiner Baritonstimme passe nur wütender Punk. Doch auf „Ultimate Success today“ klingst du mitunter ungewohnt zart, und bei „June 21“ singst du sogar mit Kelley Deal von den Breeders ein Duett.
Casey: Die Band wollte mit sanfteren Stücken experimentieren, also musste ich das Singen zumindest versuchen. (lacht) Ich habe herausgefunden, dass ich mit kraftvollen, weiblichen Stimmen sehr gut harmoniere – da war Kelley natürlich perfekt.
Protomartyr erkunden neue Möglichkeiten
Überhaupt habt ihr die Band geöffnet und mit vielen Jazzmusikern gearbeitet. Waren die Möglichkeiten der klassischen Bandbesetzung nach vier Alben erschöpft?
Casey: Ich habe viele Freunde, die auf der Musik ihrer Jugend hängengeblieben sind. Es ist so wichtig, neue Dinge auszuprobieren und Sachen nachzuholen, gegen die man sich in der Vergangenheit vielleicht gesperrt hat. Die Songs vom neuen Album klangen zunächst wie klassische Protomartyr-Songs – nur dass wir in ihnen Freiräume gelassen haben. Einerseits haben Saxofon, Streicher und all die neuen Instrumente die Gitarre verstärkt, andererseits konnten sie auch die Löcher in den Songs mit eigenen Ideen füllen.
Dann ist „Ultimate Success today“ trotz der Endzeitthematik nicht euer finales Album?
Casey: Für mich repräsentieren unsere bisherigen Alben fünf Akte, die etwas zum Abschluss bringen – und damit auch eine neue, aufregende Zukunft öffnen. Als es mit der Band losgegangen ist, habe ich mich alt gefühlt, was natürlich auch daran liegt, dass die anderen Bandmitglieder zehn Jahre jünger sind. Jetzt sind sie so alt wie ich am Anfang von Protomartyr. Sie sollen sich frischer fühlen, als ich es damals getan habe.