„Zwei Seiten des Abgrunds“ auf RTL+: Ein Mörder kehrt zurück
Die Thrillerserie „Zwei Seiten des Abgrunds“ rollt ein sieben Jahre altes Verbrechen neu auf – war doch alles anders? Jetzt auf RTL+ und bei VOX.
„Zwei Seiten des Abgrunds“: auf RTL+ streamen
Bei einem Einsatz in einem Wuppertaler Baumarkt wird die Polizeibeamtin Luise Berg (Anne Ratte-Polle) unerwartet mit dem Trauma ihres Lebens konfrontiert: An der Kasse steht der junge Mann, der vor sieben Jahren mutmaßlich ihre 17-jährige Tochter Merle (Josephine Thiesen) brutal ermordet haben soll. Allerdings ist Dennis Opitz (Anton Dreger) nicht mehr der langhaarige, adipöse, unsichere Jugendliche, der er vor seinem Haftantritt war. Aus ihm ist ein adretter, selbstbewusster Mann geworden. Doch wie konnte er so früh aus dem Gefängnis kommen? Und was macht er wieder in der Stadt? Als Luise Berg 17 Rosen am Todesort ihrer Tochter findet, ist für sie die Sache klar: Dennis ist zurück, um seinen Rachefeldzug zu komplettieren. Doch weder ihre Kollegen noch ihr Ex-Mann glauben der ungestümen Polizistin – und so muss Luise in der sechsteiligen Thrillerserie Zwei Seiten des Abgrunds (bei RTL+ streamen) einen Alleingang starten.
Zur gleichen Zeit wird eine Leiche in einer Wohnwagen-Siedlung an der belgischen Grenze gefunden: festgeschraubt an einem Wohnwagen. Ein Zufall, dass Dennis erst kürzlich im Baumarkt Schrauben gekauft hat? Während Luise beginnt, in der Vergangenheit zu graben, macht sich Dennis an Luises jüngere Tochter Josi (Lea van Acken) ran, die ihn aufgrund seiner Transformation überhaupt nicht wiedererkennt. Es beginnt ein verwirrendes Katz-und-Maus-Spiel, und als sich herausstellt, dass in der Wohnwagen-Siedlung lange Zeit organisierter Kindesmissbrauch stattgefunden hat, öffnet sich eine zweite Seite des Abgrunds: Geht es hier gar nicht um Mobbing-Geschichten aus der Schulzeit? Hat es Dennis auf ganz andere Menschen abgesehen? War er gar nicht Merles Mörder?
Jene Fragen machen Zwei Seiten des Abgrunds sicherlich zu einem spannenden, jedoch wenig innovativen Thriller, und das ambitionierte Verwirrspiel zwischen Opfer und Täter scheint bereits nach zwei Folgen recht durchschaubar zu sein. Weiterschauen will man dennoch. Was nicht zuletzt der Hochglanzinszenierung liegt, die ähnlich der skandinavischen Thriller chic wie düster zugleich ist und trotz der unzähligen Schwebebahn-Schnittbilder einen fesselnden Zog erzeugt.
Doch leider hält dieser nie lange an: Nur selten verfängt eine vom Schauspiel übermittele Emotion, und das ist nicht unbedingt die Schuld der Schauspieler:innen. Sätze wie „Du bist ’ne ziemlich krasse Braut“ oder „Die sind nicht meine Base“ sollen wahrscheinlich Jugendsprache sein, wirken aber eher wie das Skript eines kinderlosen ü40-Typen. Und in den Rückblenden, in denen Dennis wie ein Glöckner-von-Notre-Dame-Verschnitt daherkommt, jagen sich die Stereotype und unglaubwürdigen Szenen. Wieso trauen sich deutsche Serien nicht, ihre Charaktere etwas subtiler zu schreiben und gleichzeitig in der Sprache radikaler zu werden? Wer beschimpft denn heute ernsthaft noch jemanden als „Vollpfosten“?