„30 Tage Lust“: Polyamores Sexperiment in der ARD-Mediathek
Offene Beziehung auf Zeit – kann das gutgehen? Mit „30 Tage Lust“ startet in der ARD-Mediathek eine intime und urkomische Serie über Sex, Liebe und Lust.
So omnipräsent wie das Thema Polyamorie in den vergangenen Jahren durch sämtliche Leitartikel, Feuilletons, Podcasts und – natürlich – Social Media gejagt wurde, könnte man fast meinen, Monogamie sei ein längst überholtes Konzept. Dabei bleibt Polygamie doch weiterhin meist eher ein Randphänomen. Wird über freie Liebe debattiert, gilt es oft, sich für eine Seite zu entscheiden. Poly gegen Mono. Modern gegen Alt. Aber ist das überhaupt richtig? Die ARD-Dramedy-Serie „30 Tage Lust“ (jetzt in der ARD-Mediathek streamen) nähert sich diesem Diskurs mit bemerkenswert kindlicher Naivität und einem zugewandten Witz und dringt dabei ganz beiläufig zur Essenz so großer Gefühle wie Liebe, Eifersucht, Begehren oder Schmerz vor.
„30 Tage Lust“: ab sofort in der ARD-Mediathek
Es ist ein weitverbreitetes Klischee, Polygamie als Notfallplan für eine bereits brüchige Beziehung abzutun. Bei Freddy (Linda Blümchen) und Zeno (Simon Steinhorst) sieht das ganz anders aus: Sie lieben sich. Sie sind ein Paar, seitdem sie 15 Jahre alt sind und planen – beide Anfang 30 – bereits ihre gemeinsame großstädtische Zukunft als Familie. Für Zeno könnte alles immer so weitergehen. Er ist das, was man gemeinhin als Ja-Sager oder People Pleaser bezeichnen würde: zuvorkommend, zurücknehmend, zu schüchtern für Experimente. Und so überrascht Freddy ihn auf einer Party mit der Idee, eine kurze Auszeit zu nehmen. Wofür? Um sich sexuell noch ein – letztes? – mal richtig auszuleben. Die Regeln sind klar: 30 Tage, mit keiner Person zweimal schlafen, nichts erzählen.
„Fick mich einfach!“
Während sich Freddy völlig übermotiviert in die Sache stürzt, ihren ehemaligen Dozenten, in dessen Wohnung sie durch Zufall gerät, auffordert: „Fick mich einfach!“, scheint Zeno zunächst noch zu hadern. Dating ist nicht sein Ding. Doch auch er landet gleich am ersten Abend des Experiments durch einen Zufall in einer – nicht ganz so – fremden Wohnung. Die Erfahrungen, die beide an diesem Abend machen, könnten unterschiedlicher nicht sein: hier eine völlig geplatzte Anmache, da ein schon fast ritueller Dreier mit Finger im Arsch. Und plötzlich wendet sich das Blatt: Zeno gefällt sich zunehmend in der Rolle des selbstbewussten Abschleppers und probiert sich nicht nur aus, nein, er verändert sich sogar als Typ. Freddy stolpert hingegen durch die ersten Tage, zwischen hartem Sex auf Klubklokabinen und Massagen mit einer alten Freundin.
Es ist eine wahre Freude, Blümchen und Steinhorst bei ihrem Spiel zu beobachten. Wie unbeholfen, lakonisch und trocken, die beide durch das 30-tägige Sexperiment lavieren, sich dabei verwandeln und wieder zueinanderfinden, ist gleichermaßen bewegend wie lustig. Eine Serie im großen Themenfeld Sex anzusiedeln, ist ein Wagnis, das nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Zu oft scheitert das Vorhaben, eine möglichst unprüde Darstellung zu liefern, an einer bemühten Pointen-Schlacht oder einer dermaßen plakativen Enttabuisierung, dass man die Lust schnell verliert. Was für eine Serie mit dem Titel „30 Tage Lust“ das schlechtmöglichste Szenario wäre.
Keine masturbative Einbahnstraße
Tatsächlich gelingt der ARD-Produktion diese Gratwanderung: Stellvertretend für all unsere Vorurteile und Ressentiments schickt die Serie ihre tollen Protagonist:innen auf so ungewohntes Terrain, dass die eigene Selbstgewissheit ins Wanken gerät. Und wenn sich Freddy und Zeno dabei in vollen Zügen der Peinlichkeit preisgeben, lachen wir auch über uns selbst und unsere eigene Borniertheit. Doch die wirkliche Stärke, die „30 Tage Lust“ beim Seriencamp Festival 2024 in Köln den Publikumspreis beschert hat, versteckt sich in der Ambivalenz vieler Szenen. Wenn die Stimmung von einem auf den anderen Moment kippt, wenn aus erregtem Kribbeln perplexe Kränkung wird. So muss sich Freddy nach einem intimen Moment mit einer lesbischen Freundin die Frage gefallen lassen, ihre Sexualität bloß ausgenutzt zu haben für ein wildes Abenteuer. Und so ist der Achtteiler auch ein Plädoyer dafür, dass Liebe nie bloß eine masturbative Einbahnstraße sein darf.