Herbst gefällig? Die Musikwoche im Überblick
Diese Woche fällt erstaunlich herbstlich aus: 44 Minuten mit der Orgel von Anna von Hausswolff, Ambient mit Hugar und der Singer/Songwriter The Late Call.
Mit regnerisch trübem Wetter fängt der Herbst nun auch meteorologisch ganz offiziell an. Und beinahe so, als hätte man es geahnt, ziehen die Alben der Woche mit: Anna von Hausswolff vergräbt sich in den tiefen Windungen und den endlosen Klangmöglichkeiten ihres Hauptinstruments, der Pfeifenorgel.
Hugar liefern dagegen erstklassigen Graue-Wolken-Ambient und SUMAC liefern Metal, der statt Moshen zur Melancholie einlädt. Wer es geselliger mag, schmilzt mit dem Singer/Songwriter The Late Call dahin, der mit intimen Songs am Klavier überzeugt – und mit Größen wie Billie Joel oder gar Elton John gleichzuziehen vermag. Die Alben der Woche:
Anna von Hausswolff: All Thoughts fly
Natürlich würde der x-te alte weiße Mann, der seine Gitarre abschrubbt, langweilen. Wie viel spannender ist dagegen ein ganzes Album, auf dem Anna von Hausswolff sich ausschließlich der Pfeifenorgel widmet? Natürlich ist so ein Unterfangen nicht ohne Risiken: Die schwedische Musikerin hat auf dem Instrument zwar einen ganz eigenen Sound zwischen gothischem Folk und experimenteller Avantgarde entworfen, darin ist die Orgel allerdings immer nur ein Teil der vielfältigen Arrangements gewesen.
Doch zahlt sich jetzt von Hausswolffs Vertrautheit mit Sound und Atmosphäre aus, wenn sie ihre handwerkliche und kompositorische Auseinandersetzung mit der Orgel in den Vordergrund rückt. Es ist berauschend, ihr dabei zuzuhören, wie sie dem Instrument Töne entlockt, die man so noch nie gehört zu haben vermeint, etwa das Zwischen und Rauschen in dem gespenstischen „Sacro Bosco“. Dagegen lassen „Dolore di Orsini“ und das Kernstück „All Thoughts fly“ einen beinahe vergessen, dass sie einem einzelnen Instrument entstammen. Virtuosität ohne Selbstzweck – so aufregend können 44 Minuten nur mit der Orgel sein.
SUMAC: May you be held
Passend, dass der erste Song des vierten Albums des US-amerikanischen Postmetal-Trios SUMAC „A Prayer for your Path“ heißt. Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren. Das Stück kündigt mit beinahe sechs Minuten langen, vermeintlich ziellosen Feedback-Schleifen bereits an, was der Rest des Albums seinen Hörer*innen abverlangt: Geduld. Wer sich darauf einlässt, wird allerdings belohnt.
In den darauffolgenden vier Stücken, die allesamt zwischen acht und 20 Minuten lang sind, wechseln SUMAC von der andächtigen Stille immer wieder scheinbar willkürlich zu tosenden Gitarrenstürmen, die mal arhythmisch in sich zusammenfallen, mal über Minuten hinweg dissonant kreischen – ein Schema, das bald einen hypnotischen Sog entwickelt. Auch insofern ist der Titel des Intros geschickt gewählt: Durch das Wechselspiel aus Entsagung und Katharsis wird „May you be held“ zu einer quasi-spirituellen Erfahrung. Allerdings eine, die zu machen und durchzustehen nur einige wenige gewillt sein werden.
The Late Call: Your best Friend is the Night
Johannes Mayer alias The Late Call kannte das Gefühl, auf sich selbst gestellt zu sein, schon vor der Coronakrise. 2016 findet sich der Musiker in Berlin vor einem Klavier und vor der Herausforderung wieder, seinem Songwritertum eine neue Richtung zu geben. Herausgekommen sind Pianostücke so schlicht wie ergreifend. Nur in wenigen Momenten um weitere Arrangements an Bass, Drums, Bläser und Klarinette erweitert, schafft The Late Call einen behaglichen Sound, der es mit den Großen am Klavier aufnehmen kann: Billy Joel, Ben Folds, vielleicht sogar Elton John.
Dabei verzichtet er auf unnötiges Pathos, wie es etwa Tom Odell gekonnt zelebriert – The Late Call konzentriert sich auf die intimen Momente am Klavier, kurze Episoden aus dem Alltag, die er in nachdenkliche Lyrics gießt. Produzent Gregor Hennig unterstützt die zarten Stücke, schafft eine introvertierte Atmosphäre, die berührt, ohne sich anzubiedern. Das passiert erst ganz zum Schluss, wenn das Titelstück zum klimpernden Barjazz und Mayer zum wenig überzeugenden Crooner verkommen – aber da sind wir schon dahingeschmolzen.
Hugar: The Vasulka Effect
Schon der Werdegang von Pétur Jonsson und Bergur Pórisson ruft die Eckpfeiler von Islands avantgardistischer Musikszene auf: Gemeinsam mit Ólafur Arnalds sind sie für die Musik der BBC-Serie „Broadchurch“ verantwortlich, für den Soundtrack zu „Black Mirror“ haben sie Aufnahmen von Sigur Rós editiert, und Pórrison organisiert zudem Björks Liveband. Auch als Hugar bleiben die beiden Multiinstrumentalisten unberechenbar.
Zwar setzen sie erneut auf ihre angestammte Kombi aus Klavier, Blechbläsern, Streichern, Gitarren und Elektronik, doch anders als beim deutlich am Postrock orientierten Vorgänger „Varoa“ verzichten sie auf jeglichen Exzess und reduzieren die Stücke auf elementare Gesten. Die Kompositionen basieren auf dem Dokumentarfilm „The Vasulka Effect“, der das Schaffen der beiden Videokunst-Pioniere Steina und Woody Vasulka nachzeichnet. Doch wenn Hugar etwa bei „A new Renaissance“ eine sanfte Klaviermelodie auf Streicher und Elektronik betten, geben sie uns vor allem einen treuen Begleiter für den einsamen Pandemie-Winter zur Seite.