Post mortem gepostet
Mit einem packenden Whodunit zeigt Andreas Winkelmann, in welche Gefahr wir uns durch unbedachte Social-Media-Nachrichten begeben.
Mindestens 100 Euro und ein Punkt in Flensburg – wird man mit dem Handy beim Autofahren erwischt, kommt man an einer saftigen Strafe nicht vorbei. In „Der Fahrer“ von Andreas Winkelmann gerät die junge Studentin Krystina Zoller nach selbstverliebten Selfie-Posts am Steuer in eine nächtliche Polizeikontrolle. Doch ahnt sie nicht, dass diese nur fingiert ist und ihr Verkehrsvergehen tödliche Folgen haben wird. Sie ist einem Psychopathen in die Falle gegangen, der sie entführt, brutal schlägt, vergewaltigt und zu Tode würgt.
Ihre Leiche wird schließlich auf einer Bank im Hamburger Stadtpark gefunden. Zuvor hat der Killer die Polizei mit einem perfiden Spiel vorgeführt: Auf Krystinas Wagen malt er mit Leuchtfarbe den Hashtag „#findemich“, Fotos des Tatverlaufs hat er auf ihrem Instagram-Account gepostet, mit denen er ein Ultimatum von 24 Stunden stellt, damit Krystina doch noch lebend gefunden werden kann. Trotz seiner Social-Media-Aktivitäten und dem erkennbaren Kennzeichen des Fluchtfahrzeugs auf einem hochgeladenen Foto ist die Suche in der Millionenstadt aussichtslos. Es fehlt ein Motiv, das erklärt, warum der harmlose Post eines Mädchens solch einen Hass freisetzen kann.
Für den nicht gerade internetaffinen Kommissar Jens Kerner beginnt ausgerechnet an seinem Geburtstag ein atemloser Wettlauf mit dem „Hashtag-Killer“, der mit „#nächstesMal“ weitere Morde ankündigt und diese prompt auch wenige Tage später auf die gleiche Art ausführt. Es ergibt sich der Verdacht, dass es sich um eine persönliche Abrechnung mit Kerner handelt. Spuren stehen mit seiner Exfrau in Verbindung – und dass sein geliebter feuerroter Pick-up-Truck gerade jetzt so muckt, kann doch auch kein Zufall sein. Als schließlich Jens’ merkwürdiger Bruder Karsten nach Jahren wieder in Erscheinung tritt, entbrennt nicht nur ein alter Zwist, sondern es ist auch durchaus denkbar, dass er der Täter ist. Schließlich stellt er gerade Bilder aus, die mit einer ähnlich fluoreszierenden Farbe gemalt sind, wie sie auch auf Krystinas Wagen verwendet wurde.
Realistisches Lokalkolorit und lebensnahe Protagonisten
Der dritte Hamburg-Thriller von Andreas Winkelmann ist nicht nur eine spannende Jagd auf einen gewieften Psycho in den Straßen zwischen Barmbek und dem Grindelviertel. Mit realistischem Lokalkolorit sowie lebensnahen Protagonisten führt Winkelmanns Großstadtkrimi zu Fragen, die wir uns immer wieder stellen sollten: Auf wen trifft man, wenn man sich dort draußen bewegt? Virtuell im Netz oder real auf der Straße: Wer gerade noch mitgelesen hat, was auf Online-Plattformen gepostet wurde, kennt meine Wege und weiß, wo ich mich befinde. Vielleicht sitzt er real neben mir im Auto eines dieser neuen Fahrdienstanbieter, bei dem ich gerade online eine Fahrt gebucht habe.
Es geht um Online-Stalking, mit dem sich auch Winkelmanns Ermittler Kerner noch nicht auseinandergesetzt hat. Der 54-Jährige ist alte Schule: Er will zu oft mit dem Kopf durch die Wand, mit der Faust in ein Gesicht und mit dem Finger zum Abzug seiner Dienstwaffe. Internet ist nicht so sein Ding. Deshalb muss er sein Misstrauen gegenüber dem nerdigen IT-Forensik-Experten im Team erst mal ablegen und sein „Gefällt-Mir“-Verhältnis zu der im Rollstuhl sitzenden Kollegin Rebecca auch ohne Online-Likes und Herzchen-Icons hinbekommen.
Am Ende führen dann Teamwork, Rebeccas Gespür für Details und ausgerechnet so altertümliche Dinge wie eine Nachricht im Morsecode und Schulkreide zur überraschenden Lösung des Falls. Um heutzutage Morde aufzuklären, muss man eben Instalooker genauso im Blick behalten, wie den Dreck auf der Straße. Und wer immer noch denkt, im Internet alles folgenlos von sich preisgeben zu können, wird von Andreas Winkelmann eindrücklich gewarnt. Überall sitzen Spinnen im Netz, die auf leichte Beute lauern …