Bombastisch, triumphal – oder ganz lässig: Die Alben der Woche
Während sich die Songwriterinnen lùisa und Sarah Klang mit großen Emotionen herumschlagen, hat Grant Davidson die neue Platte von Slow Leaves eher aus dem Ärmel geschüttelt. Unsere Alben der Woche
Um große Gefühle geht es diese Woche in unseren Albumhighlights öfter: Sarah Klang etwa malt ihre Emotionen auf Leinwandgröße mittels maximalistischer Americana aus. Und auch die Hamburgerin lùisa kämpft auf ihrem dritten Album „New Woman“ mit dramatischen Gefühlen. In ihrem Fall geht es um Trauer und Verlust. Doch im Laufe des Albums stellt sich bald heraus, dass die Künstlerin vielmehr über ihre düsteren Dämonen siegt. Viel weniger bombastisch geht es bei Slow Leaves zu. Denn Frontmann Grant Davidson hat mit „Holiday“ eine bemerkenswert zurückgelehnte Platte geschrieben. Kein Wunder: Das Album ist eher aus Versehen entstanden, aus pandemiebedingter Langeweile.
Die hat auch Van Morrison inspiriert: Sogar ein Doppelalbum hat das Urgestein hinbekommen. Außerdem gibt es exzentrischen Pop von Sophia Kennedy und Altrogge. Die Alben der Woche:
Slow Leaves: Holiday
So ehrlich und persönlich waren die Songs auf dem vorherigen, dritten Slow-Leaves-Album „Shelf Life“, dass sie Frontmann Grant Davidson in eine Schaffenskrise gestürzt haben. „Ich war diesem bestimmten Brunnen auf den Grund gegangen und hatte alles gefunden, was ich konnte“, so Davidson. Das hören geneigte Folkies gern. Wenn es etwas gibt, was die softe Gitarrenmusikwelt im Überschuss hat, sind das Männer, die ehrliche Songs schreiben wollen. Da Davidson es auf „Shelf Life“ geschafft hat, tatsächlich völlig unpeinlich Szenen zwischen Familienalltag und Tagtraumgrübelei übers Älterwerden in Songs zu fassen, wirkt sein Vorhaben für „Holiday“ fast schon wie ein Humblebrag: ein Album, das nichts überdenkt, das aus dem Handgelenk fast im Versehen entstanden ist, in Ermangelung anderer Beschäftigungsmöglichkeiten während der Pandemie.
Aufs erste Hören fällt das nicht auf: Davidsons Ohr für süße Melodien im Stil der 60er- und 70er-Jahre ist nach wie vor ungetrübt. Aufs zweite Hören offenbaren sich die Texte als schwächer. Davidson vermittelt und verarbeitet seine Grübeleien nicht – denn natürlich grübelt er, er ist schließlich Folkie –, er bildet sie nur ab. Dadurch ist „Holiday“ in erster Linie ein Album für Grant Davidson. Hat er sich aber auch verdient. jl
Sarah Klang: VIRGO
„Groß“ ist das Wort, das sich beim Hören des dritten Albums der Göteborger Musikerin Sarah Klang zwangsläufig einnistet. Große Soundwände aus Gitarre und Klavier, ausstaffiert von raumgreifenden Synthesizerflächen und einer gehörigen Portion Hall. Große Gefühle von der Sorte heimlicher oder verlorener Liebe („Wake up and my mind is a desert/and my heart is a canyon“), vorgetragen von der allergrößten Größe auf diesem maximalistischen Americana-Popentwurf: Sarah Klangs monumentaler Stimme, die es auch locker mit jedweder Countrypop-Diva aus dem 20. Jahrhundert aufnehmen kann.
Und das ist alles auch echt schön – nur eben nicht so lange, wie „VIRGO“ letztendlich läuft. Die Forderung nach maximaler emotionaler Geladenheit ist ermüdend, besonders dann, wenn das Songwriting in der zweiten Hälfte von „VIRGO“ immer skizzenhafter wird und die scheinbar selben Wendungen wiederholt. Das ist schade, denn gerade bei den ersten Liedern, die so dringlich wirken, kauft man Sarah Klang die Authentizität dieser Gefühle voll und ganz ab. Aber wenn die wirklich so groß sind, wie sie aufs Erste klingen, darf man auch daran scheitern, ihnen gerecht zu werden. jl
lùisa: New Woman
„It’s better to burn out than to fade away“, sang Neil Young in dem Song „Hey hey, my my (Into the Black)“ vom 1979 erschienenen Album „Rust never sleeps“. 32 Jahre später ergänzt lùisa in „Burn out“: „You can only burn out when your heart is in flames.“ Ganze sechs Jahre nach „Never own“ kehrt die Hamburger Songwriterin mit ihrem dritten Album „New Woman“ zurück, um nach der Erfahrung von Verlust und Trauer ihre Identität neu zu justieren. „Change, breaking my cage, making mistakes, taking my stage/feel like a new woman today“, triumphiert sie im Titelsong – und zielt damit auch auf dem leider noch immer allgegenwärtigen Sexismus in der Musikindustrie.
In Zusammenarbeit mit Produzent Tobias Siebert verlegt sie das Spiel mit Elektronik in den Hintergrund, um ihre am souligen Songwriterpop der 80er geschulten Kompositionen im konventionellen Bandsound voll zur Geltung zu bringen. Und die mit dunkler Stimme vorgetragenen Empowerment-Hymnen helfen tatsächlich viel besser durch den Lockdown als all die berechnend gefühligen Songs jener Musiker*innen, die ihren Liebeskummer als vorweg gefühlte Pandemie-Einsamkeit verkaufen wollen. cs
Naked Cat: No Filter
Hinter dem Namen Naked Cat versteckt sich der Hamburger Produzent Julius Trautvetter, der schon mit Fettes Brot, Clueso, Hundreds und unzähligen anderen Musiker*innen zusammengearbeitet hat. Wobei – von Verstecken kann bei ihm eigentlich keine Rede sein. Denn obwohl der Multiinstrumentalist bislang keine Lust hat, sein Gesicht preiszugeben, könnte seine Musik offener nicht sein.
Seine organischen Elektropop-Songs handeln zumeist von der Liebe. Kalkül, ließe sich vermuten, ist aber Quatsch: Die Liebe ist für ihn alles, und die Erwartungshaltung eines etwaigen Publikums blendet Naked Cat beim Musikmachen kategorisch aus. In der Vergangenheit haben wir das Video zu seinem Song „Right here, right now“ präsentiert – und mit ihm über seine Maske, Klischees und Liebeslieder gesprochen.
Wenn jetzt also die Debüt-EP von Naked Cat erscheint, die er passenderweise „No Filter“ getauft hat, beweist er damit einmal mehr, wie befreiend es ist, wenn er sich komplett losgelöst von allen Erwartungshaltungen dem widmet, was ihn bewegt. Die fünf Stücke auf „No Filter“ verbinden elektronische Tanzbarkeit mit akustischer Wärme, und sie wagen die ganz großen Gefühle. Wie ein Sonnenstrahl über den Dächern einer Metropole nach einer durchfeierten Nacht. Ein großartiges, authentisches Debüt, das Lust auf mehr macht – und nur ein bisschen verwundert, warum sich Trautvetter noch hinter der Maske verbirgt.
Van Morrison: Latest Record Project: Vol. 1
Wenn sich Van Morrison zum Tagesgeschehen äußert, rauft man sich als Fan gern einmal die Haare. Aber das neue Album des Urgesteins beweist, dass er noch immer hörenswert ist, wenn er sich auf seine Liebe zur Musik konzentriert. Einen ausführlichen Text zur Platte gibt es hier.
Sophia Kennedy: Monsters
Auf ihrem zweiten Album klingt Sophia Kennedy noch vielseitiger als je zuvor – trotzdem gibt sie sich emotionale Blößen, die man so noch nicht kennt. Wir haben die Musikerin interviewt.
Altrogge: Barfuß zum Duell
Als Medienmarktforscher kennt Michael Altrogge den Mainstream in- und auswendig. Auf seiner neuen Platte dagegen erkundet er die weniger ausgeleuchteten Ecken der Poplandschaft. Hier geht’s zu unserem Interview.