Haifischbecken Heiratsmarkt
„Bridgerton“ ist historisch unkorrekt, von rabenschwarzem Humor und hat eine Liebesgeschichte. Was will man mehr von einer Kostümserie?
Wir befinden uns im vorviktorianischen London: Daphne Bridgerton ist im heiratsreifen Alter und soll – wie alle jungen Frauen – so schnell wie möglich unter die Haube kommen. Doch der Londoner Heiratsmarkt mit seinen gefürchteten Bällen ist bildlich gesprochen ein Haifischbecken. Daphne aber fühlt sich hier wohl, nicht einfach wohl wie ein Fisch, nein: fast schon selbst wie ein Raubfisch. Schnell macht sie sich an den Mann ran, den sie haben will, und liefert sich mit ihm, dem bekennenden Heiratsverweigerer, verbale Schlachten.
Historische Serien, die sich bewusst und absichtlich nicht an historische Fakten halten, sind seit kurzem sehr beliebt. So brachte Apple TV+ vor einem guten Jahr „Dickinson“ raus, die Serie über die amerikanische Dichterin Emily Dickinson, die Mitte des 19. Jahrhunderts heimlich zu schreiben begann. Vor einem halben Jahr startete auf Starzplay The Great“ mit der Geschichte der Zarin Katharina der Großen in ihren jungen Jahren, als sie zu ihrer Vermählung nach St. Petersburg reist. Was alle diese Serie eint, ist ihre emanzipatorische Ausrichtung, die im Vergleich zu den historischen Fakten ganz offen und stark übertrieben ist, was die Macher mit einer gehörigen Portion komischer, schwarzhumoriger Elemente abfedern: Am stärksten wurde „The Great“ als offen von historischer Korrektheit abweichend sogar offensiv vom Sender beworben, während in „Bridgerton“ Peope of Color bewusst bei der Besetzung herangezogen wurden für Rollen, die historisch korrekt Weiße sein müssten. Dass dies auch Kritik von links auf sich ziehen kann, hat das US-Musial „Hamilton“ erst in seiner Heimat erfahren müssen.
Doch zurück ins England der Regency-Epoche, als das prüde viktorianische Zeitalter noch in der Zukunft lag: Ein unglaubliches gesellschaftliches Gemetzel begleitet die Anbahnung einer jeglichen Liaison. Es wird gemobbt, getratscht und missgönnt. Mitten drin sind vor allem Frauen wie Lady Whistledown, die ihre Gesellschaftsblättchen schreiben und veröffentlichen und schon in den ersten Minuten als die hündischsten aller hündischen Frauen (Bitches) bezeichnet werden.
Die Netflix-Serie „Bridgerton“ ist etwas für Serienfans, denen „Downton Abbey“ schon nach der ersten Staffel zu betulich wurde und die Kostüme nur ertragen, wenn ihre Trägerinnen und Träger verbales Gegengift im Akkord absondern. Oder für Fans von Liebesfilmen mit starkem Ironiefaktor. Oder für Menschen, die wissen wollen, wie es mit Daphne (Phoebe Dynevor) und dem Heiratsleugner Duke of Hastings (Regé-Jean Page) weitergeht. jw