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Das Tier in dir

Gus Dapperton im Porträt
(Foto: Jess Farran)

Gus Dapperton wird als Indie-Sensation gefeiert. Keine schlechte Ausgangssituation, um mal mit ein paar unbequemen Wahrheiten rauszurücken.

Gus, hast du eigentlich den Film „Free Willy“ gesehen, der ja ein paar Jahre älter ist als du?

Gus Dapperton: Klar, und natürlich habe ich auch geweint. Orcas sind meine Lieblingstiere, aber wenn ich mein zweites Album „Orca“ nenne, referenziere ich nicht einfach nur den Film. Der Titel spielt auf Tiere an, die ihres natürlichen Lebensumfeldes beraubt sind und vom Menschen in Gefangenschaft gehalten werden. Genauso steckt da aber auch ein Gefangensein in eigenen Verhaltensweisen und Bedürfnissen drin.

Ausgangspunkt des ungewohnt düsteren Albums ist deine Tour im Jahr 2018, bei der du mit psychischen Problemen zu kämpfen hattest.

Dapperton: So sehr ich Konzerte liebe, kostet es mich als eher introvertierten Typen doch auch immer wieder Überwindung, auf die Bühne zu gehen. Wenn ich monatelang unterwegs bin, sehne ich mich einfach danach, daheim zu sein und ganz allein an meinen Songs zu arbeiten. Man wird dünnhäutiger, weil Tourneen ja auch mit Alkohol, einem ungesunden Lebenswandel und wenig Schlaf verbunden sind. Gleichzeitig fällt es mir sehr schwer, mir selbst diese schwachen Momente einzugestehen oder sie gar anderen zu offenbaren.

Weil psychische Probleme noch immer tabuisiert sind?

Dapperton: Ich verstecke sie gern hinter einem Lächeln oder hinter manischer Produktivität. Auf der Tour habe ich mit dem schonungslosen Texten begonnen und das danach auch konsequent weitergeführt. Lange Zeit war ich unsicher, ob ich diese Songs wirklich veröffentlichen will. Meine Freunde haben mich letztlich überzeugt, und auch die Reaktionen der Fans waren überwältigend.

Ich habe manchmal das Gefühl, die Hälfte aller Twitter-User nutzt diesen Dienst, um ihre Depression zumindest mit 280 lustigen Zeichen aufzuarbeiten.

Dapperton: Es ist wichtig, dass es diese Möglichkeit gibt – nur reicht es vermutlich nicht aus, das nur unter der Prämisse tun zu können, dabei auch lustig zu sein. Generell ist es schwierig, wenn man auf Zuspruch angewiesen ist.

Aber das bist du mit deiner Musik ja auch.

Dapperton: Die heilende Wirkung des Songschreibens liegt nicht in der Kommunikation, sondern im Prozess an sich. Ich muss die Dinge für mich selbst sortieren. Würde ich mich an den Reaktionen orientieren, hätte ich einen Song wie „First Aid“ mit diesem sperrigen Einsteig wohl kaum gemacht.

Während dein Debüt „Where polly People go to read“ komplett unberechenbar war, ist die neue Platte in sich geschlossener an einem raueren Gitarrenpopsound orientiert.

Dapperton: Ich wollte in die Tiefe gehen und mich auf weniger Instrumente konzentrieren. Vielleicht liegt es daran, dass die Platte ja auch einen Prozess beschreibt. Gleichzeitig war diesmal auch eine Außenperspektive wichtig, weswegen ich die Songs für den Mix an Spike Stent übergeben habe.

Hat „Orca“ Konsequenzen, wie du zukünftig die Musik und dein Leben generell angehst?

Dapperton: Natürlich kann ich es mittlerweile kaum erwarten, dass endlich wieder Konzerte möglich sind. Aber auch dann habe ich mir vorgenommen, besser auf Ausgleich und Ruhephasen zu achten. Aber auch wenn ich an der Platte durchaus einen Heilungsprozess ablesen kann, gaukle ich mir nicht vor, dass es auch Rückschläge geben wird. Das wäre gefährlich.

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