Dennis Cooper: Mein loser Faden
Der US-Autor Dennis Cooper kann erklären, wie Gewalt entsteht – indem er sie in dem Roman „Mein loser Faden“ mit der nötigen Zärtlichkeit fixiert.
Texte von Dennis Cooper muss man aushalten können. Zu Beginn von „Mein loser Faden“ ist der Ich-Erzähler Larry mit einem Jungen namens Bill unterwegs: Die beiden Teenagerboys parken in den Hügeln mit Blick über die Stadt, sie reden aneinander vorbei, und wer ein wenig mit der Welt von Cooper vertraut ist, macht sich darauf gefasst, dass die beiden zusammen im Auto sitzen, um Drogen zu nehmen und miteinander mechanischen Sex zu haben. Doch schon der zweite Absatz überbietet die Erwartung: „Ein Zwölftklässler zahlt mir fünfhundert Dollar, damit ich ihn töte. Eigentlich hat Pete den Auftrag bekommen. Aber er hat mich gebeten zu helfen. Ich weiß den Namen des Zwölftklässlers noch nicht, oder was sein Problem ist. Ich kann den Jungen gerade genug leiden, um vorzutäuschen, dass wir Freunde sind. Mein Fall ist er nicht, aber vermutlich ein ungeheures Paradebeispiel eines solchen für irgendjemand anderen.“
Im Original ist „Mein loser Faden“ bereits 2002 als Coopers Reaktion auf den Amoklauf an der Columbine High School in Littleton erschienen, und so erfährt man auch recht bald, dass es sich bei dem erwähnten Auftraggeber um den Anführer einer rechtsextremen Gruppe handelt. Jener Gilman hat Poster der Columbine-Attentäter in seinem Zimmer aufgehängt, er führt Todeslisten, auf denen Mitschüler stehen, die er kaum kennt, und am Ende des Romans stürmt er dann auch schwer bewaffnet seine Schule. Doch Bill muss sterben, weil er etwas über Gilman weiß, was dieser unbedingt verheimlichen will … Bei der Gewalt, die Cooper auf den 150 Romanseiten zeichnet, geht es immer wieder um sexuelles Begehren und die Angst davor, als schwul zu gelten: Wenn etwa Ich-Erzähler Larry seinen kleinen Bruder schwer misshandelt und sexuell missbraucht, redet er sich raus, von dem extrem gutaussehenden 13-Jährigen verführt worden zu sein, und Sex mit seinem Mitschüler Tran gesteht Larry sich nur zu, indem er jede Zärtlichkeit abblockt und ihn brutal vergewaltigt.
Doch Cooper geht es keinesfalls um Schockeffekte und Provokation: Wenn er in die Köpfe seiner jugendlichen Helden blickt, zeigt er nicht nur Perversion, Sadismus und Apathie, sondern macht auch die Verunsicherung seiner Antihelden und ihren verzweifelten Wunsch nach Liebe und Anerkennung sichtbar. „Mein loser Faden“ mag zwar mit mehr als 15 Jahren Verspätung in deutscher Übersetzung erscheinen: In einer Welt, die mehr und mehr auf Selbstverleumdung gründet, ist der Roman aber nach wie vor ein hochaktueller Erklärungsansatz für das Entstehen von Gewalt. Und so kann man dem Wiener Luftschacht-Verlag gar nicht genug dankbar sein, dass er die Bücher des hierzulande noch skandalös unbekannten US-Autors sukzessive übersetzen lässt. Zumal der zwischen L.A. und Paris pendelnde Cooper seine Aktivität längst ausgeweitet hat und auch jenseits der Literatur spektakuläre Arbeiten vorlegt: Für die Tanzperformances der französischen Theatermacherin Gisèle Vienne liefert er den Subtext hinter den Bildern, und wenn er jüngst nach dem Film „Like Cattle towards Glow“ ein zweites Mal mit dem Regisseur Zac Farley zusammengearbeitet hat, verspricht „Permanent Green Light“ eines der Filmhighlights des kommenden Jahres zu werden – vorausgesetzt, es findet sich ein Verleih, der sich traut, den Film hierzulande in die Kinos zu bringen. cs
Dennis Cooper Mein loser Faden
Luftschacht, 2018, 152 S., 18 Euro
Aus d. Engl. v. Raimund Varga