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„Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen“ von Milica Vučković

Buchcover: Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen
Buchcover: Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen

„Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen“ von Milica Vučković ist ein Roman, den jede:r lesen sollte – sei es, um frühzeitig Anzeichen von Manipulation und Gewalt in einer Beziehung zu erkennen, oder sei es, um nicht vorschnell oder gar herablassend über jene zu urteilen, denen die Kraft fehlt, sich aus der Gewaltspirale zu befreien.

Die serbische Autorin Milica Vučković wirft in ihrem Roman „Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen“ einen ungeschönten Blick auf die Lebensrealität vieler Frauen aus der Arbeiter:innenklasse. Anhand der Figur Eva erzählt sie von systemischer Chancenlosigkeit, Abhängigkeits- und Machtverhältnissen in Beziehungen, sowie vom emotionalem und physischem Missbrauch – und dabei verzichtet sie konsequent auf jede Form der Emotionalisierung, die ihre Worte abschwächen könnte.

Eva wächst nahe Belgrad im kleinen Ort Zeleznik in Serbien auf – ein Dorfleben, geprägt von einfachen Strukturen und essentiellen Überlegungssorgen.

„Er hatte zu mir gesagt, dass jeder, der für soziale Gerechtigkeit kämpft, auch Volksmusik hören müsse. Ich wusste nicht viel über soziale Gerechtigkeit, außer, dass sie nicht existierte.“

Geschrieben in einem nüchternen, an realistischen Sarkasmus grenzenden Erzählstil begleitet der Roman Eva durch den Alltag eines scheinbar alternativlosen Lebens: Ihren Job als Sekretärin übt sie notgedrungen aus, keineswegs aus Leidenschaft, und als sie ihren Sohn Martin bekommt, verliert dessen Vater bald das Interesse und die beiden trennen sich.

Ein pyschologisch komplexer Roman über toxische, gewaltvolle Beziehungen – und dabei erschreckend realtiätsnah.

Zunächst wirkt der Roman wie eine schlichte Abbildung eines fremdbestimmten Lebens in einem patriarchalen, kapitalistischen System – und wäre als ein solcher bereits als sehr gelungen zu bewerten. Aber Autorin Milica Vučković geht darüber hinaus: Als Viktor in Evas Leben tritt, gewinnt die Geschichte an Tiefe und psychologischer Komplexität.

Er ist es, der ihr die lang ersehnte Aufmerksamkeit schenkt – zunächst jedoch nur durch sexuelle Gelüste und Begierden. Doch Eva interpretiert das (aufgrund mangelnder Vergleiche oder Aufklärung?) als echte Zuneigung und verliebt sich ihrerseits in den mysteriösen Schriftsteller.

Manipulation und Missbrauch – unterstützt durch ein patriarchal geprägtes Umfeld

Erzählt wird die Geschichte konsequent aus der Ich-Perspektive, was einen unmittelbaren, wenn auch nicht vollständig transparenten Zugang zu Evas innerer Welt ermöglicht – zu ihrer Überforderung, der Hoffnungslosigkeit und dem im Verborgenen schlummernden Wunsch, die Verantwortung für sich selbst und den Sohn Martin abzugeben.

„Nachdem Viktor den Barkeeper verprügelt hatte, meldete uns dieser der Security. Als ich versuchte, ihn zurückzuhalten, schlug Viktor auch mich, aus Versehen, sagte er. Er habe meine Ehre verteidigen müssen, sagte er. “

Von Beginn an gewährt uns der Roman einen schonungslosen Blick auf den wahren Charakter Viktors, und auch Eva erkennt diesen sehr früh. Dennoch nutzt Viktor ihre Hilfslosigkeit skrupellos aus und überredet sie, mit ihm nach Stuttgart zu ziehen.

Mit dem Umzug nimmt Evas Leben einen traurigen, scheinbar unaufhaltbaren Verlauf – denn Viktor ist ein Psychopath und Manipulant.  Er trinkt, spielt und inszeniert sich selbst als Sozialist und Feminist – nur um Eva im nächsten Moment das Wort zu verbieten.

Eine Spirale der Gewalt und des emotionalen Missbrauchs, die sich wie eine Schlinge immer enger um Eva legt.

Eine besonders eindrückliche Szene verdichtet das toxische Machtgefälle ihrer Beziehung: Viktor macht Eva Vorwürfe, dass sie seinen sexuellen Wünschen nicht nachkomme und redet ihr ein schlechtes Gewissen ein, aus welchem heraus sie ihn auf einer gemeinsamen Autofahrt mit dem Sohn Martin intim berührt. Im Gegenzug explodiert er und rügt sie für unanständiges Verhalten. Viktor schlägt Eva, und als Reaktion auf ihre Überforderung schlägt Eva wiederum ihren Sohn Martin. Mutter und Sohn fliehen auf ein Tankstellenklo, während Viktor im Auto bleibt, wo er sich,  kaum dass sie weg sind, selbst befriedigt.

„Ich fragte mich, ob es schon jemals jemand geschafft hatte, in der Badewanne zu sterben (…) – vielleicht, wenn man müde ist und wirklich tief einschläft. Ich war sehr müde. Ich musste das überprüfen. Mit feuchten Händen nahm ich mein Handy und tippte in die Suchleiste ,In der Badewanne gestorben‘ ein.“

Die Leser:innen erleben mit Eva diese Situationen der Gewalt, die sich immer weiter zuspitzen und in ihr Gefühle von Verzweiflung und Lebensmüdigkeit hervorrufen. Im Verlauf des Romans kommen in ihr wiederholt Rache- und Suizidgedanken auf, doch fehlt es ihr an Kraft und Willensstärke, diesen Impulsen nachzugehen. Ihre Versuche bleiben halbherzig, Ausdruck einer tiefen Erschöpfung und inneren Lähmung.

Es gibt viele Bücher zu diesem Thema – aber dieser Roman ist anders…

Denn dem Roman gelingt das beinah Unmögliche: Er erleichtert uns nicht, indem er es ermöglicht, Viktor als ekelhaften Narzissten und Eva als bemitleidenswerte, schwache Figur abzustempeln. Genau an diesem Punkt enden viele andere Romane zu ähnlichen Themen – sie hinterlassen zwar ein unwohles Gefühl, wahren dabei aber eine konventionelle Distanz, die es den Leser:innen deutlich erleichtert.

Milica Vučković gibt sich damit jedoch nicht zufrieden. Vielmehr schafft es die Autorin – nicht zuletzt durch den trockenen Tonfall – ein Werk zu schaffen, dass deutlich tiefer geht.

Nicht melodramatisch aufgeladen, sondern bitter und realistisch.

Der Roman will, dass wir uns in Eva hineinversetzen und mit ihr die vermeintliche Ausweglosigkeit der Situation spüren.
Wie leicht urteilen viele Menschen von außen über Schwäche und mangelnde Willenskraft in gewaltvollen Beziehungen . Doch dieser Roman gibt auch Nicht-Betroffenen einen erschütternd klaren Einblick, den man sich für die ganze Gesellschaft wünschen würde.

Das hoffnungslose Ende ist entsprechend konsequent und unausweichlich: Eva bleibt bei Viktor – und den Leser:innen wird bewusst ein Moment der Erleichterung verweigert.

Hat es Milica Vučković mit „Der tödliche Ausgang von Sportverletzungen“ auf unsere Liste der besten Bücher im August 2025 geschafft?

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