Die besten Bücher 2024: Empfehlungen für den April
Welcher Roman muss mit in den Stadtpark und an den Badesee? Die besten Bücher im April 2024 mit Timon Karl Kaleyta und Toxische Pommes.
Die Frühjahrssaison ist gestartet, und zu Lieblingen der Kritiker:innen zählt dieser Tage Timon Karl Kaleyta. Vom Alpenresort auf den Bauernhof: In „Heilung“ schickt er seinen Protagonisten auf eine zunehmend verzweifelte Suche nach dem Seelenfrieden. Steht Timon Karl Kaleyta auch auf unserer Liste der besten Bücher im April 2024 ganz oben? Ein spektakuläres Debüt zwischen zarter Liebesgeschichte und SciFi-Spannung legt Scott Alexander Howard vor. Mit „Das andere Tal“ wird er hitzige Diskussionen auslösen – und ganz sicher auch auf unserer Liste der besten Bücher im April 2024 einen der vorderen Plätze belegen. Etablierte Namen sind dagegen Gerbrand Bakker und Bodo Kirchhoff. Wie weit kommen sie auf unserer Liste der besten Bücher im April 2024?
Toxische Pommes ist mit ihren satirischen Videos auf TikTok ein Star, nun legt sie ihren Debütroman vor. Wie weit kommt sie mit „Ein schönes Ausländerkind“ auf unserer Liste der besten Bücher im April 2024? Auch Julya Linhof legt mit „Krummes Holz“ ein spektakuläres Debüt vor, indem sie einen ganz und gar eigenen Sound etabliert. Zahlt sich das auf unserer Liste der besten Bücher im April 2024 aus? Auch Daisy Alpert Florin, Han Kang, José Falero und Yakuv Ekinci wollen auf unserer Liste der besten Bücher im April 2024 ganz weit nach oben.
Frantz Fanon oder Haftbefehl? Unikarriere oder Sozialarbeit? Yandé Seck stellt in „Weiße Wolken“ die unterschiedlichen Lebensentwürfe zweier Schwestern gegeneinander und veröffentlicht so ein beeindruckendes Debüt, das auf unserer Liste der besten Bücher im April 2024 natürlich auch nicht fehlt. Auch Monica Brashears geht mit einem Erstling an den Start: „Magnolia“ ist eine eigenwillige Mischung aus Coming-of-Age, Beziehungsdrama und Geistergeschichte. Auf unserer Liste der besten Bücher im April 2024 trifft sie mit Eleanor Catton auf eine etablierte Autorin und ihren neuen Roman „Der Wald“.
Die besten Bücher im April 2024
13. Bodo Kirchhoff: Seit er sein Leben mit einem Hund teilt
Er war in Hollywood mal regelmäßig Western-Bösewicht und Nazi, und so legt Louis Arthur Schongauer in Bodo Kirchhoffs neuem Roman „Seit er sein Leben mit einem Hund teilt“ auch los. Als sich ein Auto mit großem Lärm und durchdrehenden Rädern vor Schongauers Domizil oberhalb des Gardasees festfährt, ist der bald 75-Jährige auf 180. Er holt seinen Colt aus dem Versteck und rennt zur Einfahrt. Damit beginnt im Leben des Einsiedlers der Damenbesuch der kommenden Tage. Bodo Kirchhoff macht seit einigen Jahren das Leben von Männern weit jenseits der Pensionsgrenze zum Thema. Dass Kirchhoff wie sein ähnlich alter Held am Gardasee wohnt, macht den Roman für ihn zum Heimspiel. Reisebloggerin Frida, die ihr Wohnmobil beim Versuch, zu wenden, erst mal schrottet, sorgt als erster Gast kurz vor Ferragosto für Unruhe am Berg. Am nächsten Tag will noch die Journalistin Almut kommen, sie hat sich für ein Interview angemeldet. Beide Frauen mischen in der Folge die Routinen von L. A., wie Schongauer früher hieß, auf: Sein Leben kommt auf den Prüfstand. Bodo Kirchhoff bringt das Innenleben seines Helden und das wechselhafte Wetter am Gardasee zu einem äußerst gelungenen Einklang.
dtv, 2024, 384 S., 24 Euro
12. Monica Brashears: Magnolia
Wenn es ihr nicht gut geht, etwa auf der Beerdigung ihrer Großmutter, träumt sich Magnolia Brown in ein Märchen hinein – aber nicht als Prinzessin, sondern als Bohne, die Jack in den Boden gepflanzt hat, oder als ein Brot in Rotkäppchens Korb. Nach dem Tod von Mama Brown ist Magnolia ganz allein und fast pleite, ihr Vermieter droht, sie rauszuschmeißen, wenn sie nicht mit ihm schläft. Da klingt das Angebot des Bestatters Cotton gleich viel verlockender, wenn auch dankbar seltsam: Mithilfe seiner Tante Eden, die als Maskenbildnerin Wunder vollbringt, will er Magnolia in verstorbene oder verschwundene Frauen verwandeln, damit deren Familien sich verabschieden können. Erste Versuche sind ein Erfolg, und Magnolia versteht sich immer besser mit den beiden, auch wenn Eden Alkoholikerin ist und Cotton womöglich nekrophil – und Magnolia immer weiße Frauen spielen soll, weil deren Familien besser zahlen. Als allerdings der immer weiter verwesende Geist von Mama Brown auftaucht und Magnolia wegen einer Abtreibung Vorwürfe macht, wird ihr klar, dass längst nicht alle Probleme gelöst sind … Mit ihrem Debütroman setzt uns Monica Brashears eine eigenwillige Mischung aus Coming-of-Age, Beziehungsdrama und Geistergeschichte vor, die die Kraft Schwarzer Frauen zelebriert, ohne die zahlreichen Widerstände kleinzureden, denen sie sich stellen müssen.
Ecco, 2024, 352 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Cornelia Holfelder von der Tann
11. Yakuv Ekinci: Das ferne Dorf meiner Kindheit
Der Erzähler Rüstem spricht sich von den Dämonen der Vergangenheit frei. Er beginnt seine Erinnerungen mit den Märchen, die ihm als Kind erzählt wurden. Fast könnten wir Leser:innen uns in der Nostalgie verlieren – wüssten wir nicht von Beginn an, welch düstere Wendung noch auf uns wartet. Mag sich der kleine Rüstem in dem abgelegenen Bergdorf anfangs vor allem vor Hexen fürchten, gibt es allzu bald reale Gefahren: Soldaten, die nach Rebellen suchen, darunter Rüstems verschwundenem Bruder, die ungefragt in Häuser eindringen und ihm verbieten, in der Schule seine Muttersprache Kurdisch zu sprechen. Doch das ist nur die jüngste Umdrehung einer Spirale der Gewalt, die sich seit Generationen dreht und die Yakuv Ekinci ab der Mitte seines Romans immer schonungsloser entblößt: Als Rüstems Großmutter im Sterben liegt, spricht sie erstmals über ihre Vergangenheit – sie ist eine Überlebende des Genozids an den Armenier:innen. Nun will sie in ihrem zerstörten Heimatdorf beerdigt werden. Rüstem und sein Vater machen sich auf die gefährliche Reise …
Kunstmann, 2024, 352 S., 26 Euro
Aus d. Türk. v. Gerhard Meier
TOP 10
10. José Falero: Supermarkt
Im Schatten der noblen Hochhäuser liegen die Favelas von Porto Alegre. Ein Ort, an dem sich die Armut mit jedem neugeborenen Kind reproduziert, am helllichten Tag Schüsse fallen und Männer ihren 9-mm-Pistolen Kosenamen geben. Die Leistungsgesellschaft ist hier eine Utopie, an die niemand mehr glaubt. Außer der Marx lesende „Supermarkt“-Mitarbeiter Pedro. Sein Plan: einen sozialistischen Drogenring gründen. Und in seinem handfesten Arbeitskollegen Marques findet er den perfekten Partner: Sie sind Bud Spencer und Terence Hill, Sherlock und Watson, Kopf und Kraft. Ihr Business wächst schnell, und kurz sieht es so aus, als können die zwei Discounter-Drogenbosse sogar für Frieden auf den Straßen sorgen. Wäre da nicht der unübersehbare Widerspruch eines fairen Drogenkartells: Geht mit Aufstieg zwangsläufig Skrupellosigkeit einher? In erster Linie will José Falero mit seinem Roman unterhalten – und das gelingt. Bis zum Blockbuster-Showdown bleibt es spannend. Und die brasilianische Unterwelt durch die Brille eines marxistischen Drogenbarons zu betrachten, birgt eine politische Komik, die als Zugang zu Themen der sozialen Ungleichheit mindestens erfrischend ist.
Hoffmann und Campe, 2024, 320 S., 25 Euro
Aus d. Port. v. Nicolai von Schweder-Schreiner
9. Han Kang: Griechischstunden
Wer lernt heute noch freiwillig Altgriechisch – noch dazu in Südkorea? Han Kangs Protagonistin hat einen so konkreten wie ungewöhnlichen Grund: Nach der Scheidung und dem Verlust des Sorgerechts für ihren Sohn hat sie die Fähigkeit zu sprechen verloren. Beim letzten Mal hat ihr das Erlernen einer Fremdsprache geholfen, die Worte zurückzuerlangen, dieses Mal soll es eben Griechisch sein. Doch auch ihr scheinbar stoischer Lehrer hat ein Geheimnis: Er verliert zunehmend das Augenlicht und muss seine Lektionen im Voraus auswendig lernen, weil er die Tafel nicht mehr lesen kann. Erst nach und nach nähern sich die beiden einsamen Seelen einander an … Hans Roman ist auch eine Liebesgeschichte, primär allerdings eine Liebes-, und manchmal gar eine Hasserklärung, an die Sprache. Bevor sie verstummt ist, hat die namenlose Heldin Literatur unterrichtet und Gedichte geschrieben, sie hat sich zeitweise fast als Gefangene der Wörter gefühlt. Ihr Lehrer wiederum ist zwischen Korea und Deutschland aufgewachsen und hat einst eine Taubstumme geliebt, kennt sowohl die einende als auch die trennende Funktion der Sprache. Auch in Hans eigener Sprache wird diese Doppelrolle deutlich: Sind ihre Hauptfiguren anfangs noch formell klar getrennt, indem die Kapitel der Schülerin in der dritten, die des Lehrers in der ersten Person geschrieben sind, verwischen die Grenzen mit der Zeit immer mehr, bis zum poetischen Ende.
Aufbau, 2024, 208 S., 23 Euro
Aus d. Südkor. v. Ki-Hyang-Lee
8. Eleanor Catton: Der Wald
Dass es zwei Übersetzerinnen gebraucht hat, um Eleanor Cattons neuen Roman ins Deutsche zu hieven, ist kaum überraschend: Fast scheinen sich darin zwei Bücher zu verstecken. Mit der ersten Hälfte liefert die Autorin eine amüsante Satire über ein neuseeländisches Guerilla-Gardening-Kollektiv, das auf den Ländereien eines Unternehmers heimlich Gemüse anbauen will – und einen skrupellosen Tech-Milliardär, der auf die seltenen Erden im Untergrund scharf ist. Genüsslich bringt Catton ihre Figuren in Position und stellt sicher, dass auch die idealistischen Gärtner:innen genügend Schwächen mitbringen. In der zweiten Hälfte allerdings, wenn „Der Wald“ zu einem atemlosen Thriller wird, schießt sie übers Ziel hinaus: Damit der verschlungene Plot funktioniert, müssen gleich mehrere ihrer Protagonist:innen nicht nur hoffnungslos dumm, sondern auch denkbar kleingeistig und selbstsüchtig agieren, während der Milliardär sich als genialer Dämon entpuppt. So gerät das Fazit überraschend zynisch – aber vielleicht wollte Catton ja genau darauf hinaus?
btb, 2024, 512 S., 25 Euro
Aus d. Engl. v. Meredith Barth u. Melanie Walz
7. Daisy Alpert Florin: Mein letztes Jahr der Unschuld
„Ich wusste nicht, wie ich das, was er mit mir gemacht hatte, nennen sollte, nur, wie ich mich dabei gefühlt hatte.“ Als die Ich-Erzählerin Isabel mit einem Kommilitonen im Bett landet, ist der Fall für ihre beste Freundin Debra klar: „Der Typ hat dich vergewaltigt.“ Es sind die 90er-Jahre, MeToo ist in weiter Ferne, und im TV wird über die Affäre zwischen Bill Clinton und der Praktikantin Monica Lewinksy gestritten. Aufgewachsen als Halbwaise in einem jüdischen Arbeiterviertel von New York, gehört Isabel nicht zu den typischen Elite-Student:innen am Wilder College. Umgeben von rivalisierenden Studenten, die ihr ständig zu verstehen geben, wie überintellektuell ihre Themen für Isabel sind, findet sie in R. H. Connelly, ihrem Dozenten für Kreatives Schreiben, einen Mentor und Liebhaber. Fast zu spät bemerkt sie Connellys Verstrickungen in einem erschütternden Ehekrieg zwei anderer Dozent:innen. Zwar ist die Prämisse von Daisy Alpert Florins düsterem Debütroman „Mein letztes Jahr der Unschuld“ nicht bahnbrechend neu, umso eleganter erzählt sie dafür eine Campus-Geschichte. Durch die unsentimentalen Beobachtungen amerikanischer Rapeculture stellt die Autorin auch uns Leser:innen auf die Probe: Was haben wir seit MeToo wirklich über Einvernehmlichkeit gelernt? Mit der klugen erzählerischen Klammer vom Clinton-Lewinksy-Skandal bis zum „Grab them by the Pussy“-Präsidenten warnt Florin davor, uns bereits im Ziel zu wähnen.
Eisele, 2024, 336 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Pociao u. Roberto de Hollanda
6. Yandé Seck: Weiße Wolken
Frantz Fanon oder Haftbefehl? Unikarriere oder Sozialarbeit? Seit Tagen plagen Zazie Fragen der Zugehörigkeit. Nur eines weiß sie gewiss: Das bürgerliche Leben ihrer großen Schwester Dieo lehnt sie ab. Im Gegensatz zu Zazie spielt Dieos Schwarzsein keine übergeordnete Rolle in ihrem Leben. Sie hat genug damit zu tun, ihre Ausbildung als Psychotherapeutin abzuschließen, drei Söhne durch den Alltag zu schleusen und die schicke Altbauwohnung im Frankfurter Nordend in Schuss zu halten. Ihr Mann Simon, im Dauereinsatz für ein Finanz-Start-Up, ist dabei keine echte Entlastung. In ihrem Debütroman „Weiße Wolken“ springt Yandé Seck souverän zwischen diesen drei so gegensätzlichen Figuren und ihren Weltanschauungen hin und her, was zumindest so lange als Angebot gegenseitiger Verständigung gedeutet werden kann, bis Zazies Diskriminierungs-Prüfsystem wieder Alarm schlägt. Seck trifft so gut den jeweiligen Ton dieser drei so gegenwärtig großstädtischen Archetypen, dass allein die sprachlichen Trennlinien eine Spannung erzeugen, die kaum noch Plot benötigt. Und doch sind es der Tod des abwesenden Vaters und eine Reise in den Senegal, die alles ändern. Obwohl Seck Zusammenhänge zwischen Care-Arbeit, Sexismus, Klasse und Race offenlegt und geradezu lustvoll den Finger und die dazwischen klaffenden Wunden drückt, schließt ihr Roman sehr versöhnlich. Ist die Familie – oder wie Zazie es nennt: das Rudel – am Ende doch die Antwort?
Kiepenheuer & Witsch, 2024, 352 S., 23 Euro
5. Toxische Pommes: Ein schönes Ausländerkind
Irina kennt niemand, sie ist promovierte Juristin und als solche auch beruflich unterwegs. Toxische Pommes aber kennen viele: die Boomer durch Josef Hader – der Kabarettist bewirbt sie in Interviews und lernt durch sie TikTok kennen, wo beide gemeinsam Videos veröffentlichen. Junge Menschen kennen Toxische Pommes seit dem Corona-Lockdown, damals begann sie, auf TikTok ihre kurzen satirischen Videos zu veröffentlichen, in denen vom Rassisten über „Ex-Jugos“ bis hin zum heuchlerischen Grünenklientel alle durch den Kakao gezogen werden. Jetzt legt Toxische Pommes mit „Ein schönes Ausländer-Kind“ den ersten Roman vor. In dem erzählt sie von ihrer Kindheit und Jugend als Kind eines Serben und einer Montenegrinerin, die vor dem Krieg in Jugoslawien nach Österreich geflohen sind. Die studierten Eltern, die dort entweder gar nicht arbeiten durften (Vater) oder erst nach vielen Jahren ihr Studium anerkannt bekamen (Mutter), mussten über Jahre putzen und Schnee schippen, während sie Irina den Bildungsweg ermöglichten. Der Roman ist eine oft komische Hommage an den verstorbenen Vater, der nie richtig in Österreich angekommen ist, und eine überhaupt nicht weinerliche Bestandsaufnahme der Hürden, die Geflüchteten systematisch in den Weg gelegt werden.
Zsolnay, 2024, 206 S., 22 Euro
4. Gerbrand Bakker: Der Sohn des Friseurs
Beim Start stoßen im März 1977 auf dem Flughafen von Teneriffa eine Boeing der KLM und eine Maschine von Pan Am zusammen. Gerbrand Bakker greift in seinem neuesten Roman diese Katastrophe auf, bei der 583 Menschen ums Leben kommen, und verknüpft geschickt das Schicksal seiner fiktiven Romanfiguren mit der realen Geschichte. Im Zentrum von „Der Sohn des Friseurs“ steht der 40-jährige Simon, der in Amsterdam relativ leidenschaftslos einen Friseursalon betreibt, den er von seinem Großvater geerbt hat. Eine feste Beziehung hat Simon nie geführt, hin und wieder schleppt er einen Typen ab, und als er seine Mutter bei der Betreuung einer Schwimmgruppe geistig behinderter Jugendliche unterstützt, verliebt er sich in den stummen Igor. Angestachelt von seinem Großvater, beschäftigt sich Simon auch endlich mit dem Schicksal seines Vaters, der wohl bei dem Flugzeugunglück ums Leben gekommen ist. Hier zieht Bakker eine weitere Erzählebene ein und verfolgt das Schicksal des Vaters im Jahr 1977, der die Katastrophe überlebt, weil er kurzentschlossen nicht an Bord geht, auf Teneriffa untertaucht und unter falschem Namen schließlich auch in einem Friseurgeschäft arbeitet. Viele Verbindungslinien dürfen uneindeutig bleiben, denn dem lakonischen Erzähler Bakker geht es hier vor allem um die Suche nach einem passenden Lebensentwurf – und das gilt wohl nicht zuletzt auch für die Figur eines älteren Schriftstellers. Er ist Stammkunde bei Simon, landet schließlich auch in dessen Bett, und als er die Geschichte von Simon Vaters erfährt, beschließt er, ein Buch darüber zu schreiben …
Suhrkamp, 2024, 288 S., 25 Euro
Aus d. Niederl. v. Andreas Ecke
TOP 3
3. Timon Karl Kaleyta: Heilung
Es gibt für einen Ich-Erzähler wahrlich Angenehmeres, als in einem Roman von Timon Karl Kaleyta aufzutauchen. In seinem Debüt „Die Geschichte eines einfachen Mannes“ ließ er seinen naiven Helden sozial immer weiter absteigen – im Vergleich dazu ist der Protagonist von „Heilung“ gutsituiert: Seine Frau Imogen ist erfolgreiche Künstlerin, er selbst gesund. Trotzdem plagt ihn hartnäckige Schlaflosigkeit, weshalb ihm Imogen einen Platz bei Doktor Trinkl im San Vita verschafft, einem exklusiven Resort in den Dolomiten. Die Ankunft am verschneiten Bahnhof ist nur die erste von vielen Referenzen an Thomas Manns „Zauberberg“. Wie Mann, der seinen Helden Hans Castorp frisch kuriert auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs verschwinden ließ, stellt auch Kaleyta die Hoffnung auf Auflösung mit beißender Ironie in Frage. Er beschwört eine konstante Atmosphäre der Beklemmung herauf, nie wissen wir, wer seinem Protagonisten wirklich helfen will. Trinkl scheint auf der richtigen Spur, wenn er bei ihm ein grundlegendes Unbehagen feststellt, doch seine undurchsichtigen Methoden schrecken den Erzähler ab. Also flieht er aus dem Winter des San Vita in eine andere Welt: zum gerade aufblühenden Hof seines Kindheitsfreundes Jesper, der im Einklang mit der Natur lebt. Durch harte, einfache Arbeit will der Erzähler zum Leben zurückfinden, doch diverse Allergien zeigen ihm bald, dass er doch nur ein Städter ist – und überhaupt, haftet Jespers Waldeinsamkeit nicht etwas arg Völkisches an? Zunehmend sind wir unsicher, ob Kaleytas Hauptfigur überhaupt geholfen werden kann – oder sollte …
Piper, 2024, 208 S., 22 Euro
2. Julja Linhof: Krummes Holz
Es ist ein Heimkehrerroman – nur ist der Protagonist Jirka gerade mal 19, als er nach fünf Jahren im Internat an den elterlichen Gutshof zwischen Sauerland und Ruhrgebiet zurückkehrt. Nicht umsonst stellt Julja Linhof ihrem Debüt ein Zitat von Immanuel Kant voran: „Aus so krummen Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.“ Jirka wird mit den Traumata seiner Kindheit konfrontiert: die überraschende Abwesenheit seines gefühlskalten, gewalttätigen Vaters, die Erinnerungen an seine depressive und früh verstorbene Mutter und seine Schwester Malene, die nicht mehr mit ihm spricht. Doch trifft er auch auf Leander, mit dem ihn ein zartes Band verbindet, das von einem irritierenden Begehren und dem Erwachen der Sexualität geknüpft wurde … Mit bildhafter, poetischer Sprache gelingt es der in Hamburg lebenden Autorin, einen Sog zu erzeugen, der den Verfall des Anwesens, die dunklen Schatten der Vergangenheit und die flirrende Hitze der Sommertage fühlbar werden lässt. Vor allem aber bietet sie dem Philosophen die Stirn, indem sie dem krummen Holz geradewegs eine fragile Hoffnung abtrotzt.
Klett-Cotta, 2024, 272 S., 22 Euro
1.Scott Alexander Howard: Das andere Tal
Zunächst ist es einfach eine berührende Geschichte über die erste Liebe: Die 16-jährige Ich-Erzählerin Odile ist in der Schule eine Außenseiterin, bis sich ausgerechnet der witzige und so talentierte Geigenschüler Edme für sie interessiert. Doch der kanadische Autor Scott Alexander Howard hat nicht umsonst in Philosophie promoviert, und so entwirft er für diesen Coming-of-Age-Plot eine spannende Versuchsanordnung. Das Tal, in dem Odile und Edme leben, gibt es mehrfach: Im Osten existiert exakt derselbe Ort, nur liegt er 20 Jahre in der Vergangenheit, während sich im Westen ein Tal anschließt, das 20 Jahre voraus ist. Doch die Orte sind jeweils durch ein Gebirge getrennt, und die Grenzen werden streng bewacht. Übertritte sind nur zur Bewältigung von Trauer in Ausnahmefällen gestattet: Die Zeitreisenden können sich von geliebten Menschen verabschieden, dürfen aber nur schauen, und es ist ihnen strengstens verboten, in der anderen Zone zu sprechen oder anderweitig Kontakt aufzunehmen.
Im letzten Schuljahr wird Odile von ihrer Mutter dazu getrieben, sich bei dem Amt zu bewerben, das über die Genehmigungen zum Grenzübertritt entscheidet. Odile nimmt am Auswahlverfahren teil und wird zur Geheimhaltung verpflichtet. Doch dann trifft sie zufällig auf die 20 Jahre älteren Eltern von Edme – und sie ahnt, dass ihr Freund bald sterben wird … Indem Howard das in der SciFi-Literatur arg überstrapazierte Zeitreisen-Motiv viel komplexer angeht und zahlreiche Einzelschicksale durchdekliniert, wirkt sein Roman nicht nur wegen des Schicksals von Odile und Edme lange nach. Hier geht es mit Thrill und Empathie um die Konsequenzen unser aller Handelns.
Diogenes, 2024, 464 S., 25 Euro
Aus d. Engl. v. Anke Caroline Burger
Riskieren Sie auch einen Blick auf unsere Liste der besten Bücher im März 2024!