Die besten Bücher 2024: Empfehlungen für den März
Was muss vor der Leipziger Buchmesse noch gelesen werden? Die besten Bücher im März 2024 mit Lene Albrecht und Vladimir Sorokin.
In ihrem autofiktionalen Roman begibt sich Lene Albrecht auf eine postkoloniale Spurensuche und landet schließlich bei ihrer eigenen Familiengeschichte. Schafft „Weiße Flecken“ es auf unserer Liste der besten Bücher im März 2024 ganz nach oben. Gute Chancen dürfte auch Barbara Kingsolver haben – immerhin ist sie für „Demon Copperhead“ mit dem Pulitzer-Preis 2023 ausgezeichnet worden. Vielleicht führt aber auch Fien Veldman unsere Liste der besten Bücher im März 2024 an. In ihrem Debütroman „Xerox“ bildet sie die Absurditäten der modernen Arbeitswelt ab.
In „Tahara“ erzählt Emanuel Bergmann nicht nur eine stürmische Liebesgeschichte, er blickt auch hinter die Kulissen des Filmfestivals von Cannes. Wird das mit einer Spitzenposition auf unserer Liste der besten Bücher im März 2024 belohnt? Angelo Tijssens benötigt gerade mal 124 Seiten, um sich nach seinem Erfolg als Drehbuchschreiber („Close“) nun auch als Romanautor zu empfehlen. „An Rändern“ zählt zu den Geheimfavoriten auf unserer Liste der besten Bücher im März 2024. Benoit d’Halluin täuscht in „Nacht ohne Morgen“ einen Thriller an, erzählt dann aber eine anrührende und zugleich komplexe Liebesgeschichte. Und Erdmöbel-Sänger Markus Berges reist in die 80er zurück, um in „Irre Wolken“ von der Liebe in den Zeiten von Tschernobyl zu berichten. Oder steht Vladimir Sorokin auf unserer Liste der besten Bücher im März 2024 ganz oben? Sein Roman „Doktor Garin“ könnte aktueller nicht sein.
Die besten Bücher im März 2024
8. Vladimir Sorokin: Doktor Garin
Wladimir Sorokin ist seit Jahrzehnten das Enfant terrible der russischen Literatur und Gegner von Wladimir Putin, seit Russlands Angriff auf die Ukraine lebt er in Berlin. Mit „Doktor Garin“ schickt der Experte für wildeste, satirisch aufgepeppte Dystopien seinen titelgebenden Helden gegen Ende des laufenden Jahrhunderts in Abenteuer mit Fabelwesen, Zombies und den Nachfahren von Supersoldaten, den Zottelorks. Garin ist Chefarzt in einem Sanatorium im Altaigebirge, wo im Inkubator gezüchtete political beeings, die aussehen wie Ärsche mit Ohren, luxuriös im Erholungsurlaub weilen: Wladimir Putin – sein einziger Satz im ganzen Roman: „Ich war’s nicht“ –, Angela Merkel, Donald Trump und viele weitere bekannte Gesichter sind darunter und werden von Garin mit dem Elektroschocker kuriert, wenn sie Anfälle haben.
Dann wird die Republik Altai von Kasachstan mit Atombomben angegriffen und das Sanatorium zerstört. Personal und Sanatoriumsgäste fliehen durch die Wildnis des Altaigebirges. Das hoffnungslos zersplitterte postsowjetischen Russland lebt weiter in Enklaven von Anarchisten oder Anwesen wie aus dem Feudalismus des 19. Jahrhunderts, die Flucht Garins aber geht immer weiter wie in einem literarischen Road Movie ohne Straßen – auf Flüssen, in Sümpfen und Wäldern geht es bald nur noch ums nackte Überleben in einem nicht enden wollenden Alptraum.
Kiepenheuer & Witsch, 2024, 592 S., 26 Euro
Aus d. Russ. v. Dorothea Trottenberg
7. Emanuel Bergmann: Tahara
Wie in jedem Jahr ist Filmkritiker Marcel Klein beim Festival in Cannes, wo er auf die Französin Héloïse trifft. Obwohl nicht nur die erste Begegnung in einem Streit endet, fühlen beide eine nicht zu leugnende Anziehungskraft. Als ein Interview mit einem Filmstar entgleist und Marcels beruflicher Status ins Wanken gerät, überredet er Héloïse spontan zu einer Spritztour, die mehr mit einer Flucht gemein hat. Denn auch seine mysteriöse Geliebte hat etwas, vor dem sie davonläuft … „Tahara“ bezeichnet im Judentum die rituelle Leichenwaschung, und nicht nur deshalb bleibt Héloïses Geheimnis für uns nicht lange geheim.
Die stürmische Liebesgeschichte, die den zweiten Teil von Emanuel Bergmanns Roman dominiert, ist deshalb zwar nicht weniger mitreißend. Doch es ist vor allem der erste Teil, der in seiner atemlosen Reihung von Pressekonferenzen, Filmvorführungen und hedonistischen Partys Spaß macht: Bergmann, der viele Jahre als Filmjournalist gearbeitet hat, bietet einen wohlinformierten Blick hinter die Kulissen von Cannes und die Studiomaschinerie im Allgemeinen – und allen Mitgliedern der schreibenden Zunft einen unterhaltsamen Blick in den Spiegel.
Diogenes, 2024, 288 S., 25 Euro
6. Benoit d’Halluin: Nacht ohne Morgen
Mit einem zweiseitigen Prolog eröffnet Benoit d’Halluin seinen Debütroman als Thriller: „Kurz hinter der Brücke wendet das Auto, fährt erneut auf ihn zu. Es hat ihn nicht aus Versehen gestreift.“ Doch auch wenn erst am Ende aufgelöst wird, wer dafür verantwortlich ist, dass Alexis kurz darauf in ein New Yorker Krankenhaus eingeliefert wird und ins Koma fällt, ist „Nacht ohne Morgen“ vielmehr eine anrührende und zugleich komplexe, mit sehr viel Tiefenschärfe erzählte Liebesgeschichte. In Rückblenden geht der in Paris lebende Autor bis in die Kindheit und Jugend von Alexis und seinem Freund Marc zurück, um die Wunden zu vermessen, die sie in ihre Beziehung mitgebracht haben. Während Alexis, der in der Schulzeit von einem Lehrer missbraucht wurde, es nie geschafft hat, sich vor seinen toleranten Eltern zu outen, und sein Leben in den USA verheimlicht, wird Marc schon als Heranwachsender vom Vater wegen seiner Homosexualität verstoßen. Am Ende ist die Frage nach dem Täter fast schon zweitrangig. Vielmehr bangen die Lesenden mit Marc und Alexis’ Mutter Catherine, ob Alexis wieder erwachen wird.
Karl Rauch, 2024, 320 S., 25 Euro
Aus d. Franz. v. Paul Sourzac
5. Markus Berges: Irre Wolken
Nach dem Abitur macht der namenlose Ich-Erzähler ein FSJ in der örtlichen Psychiatrie, in der nur Frauen behandelt werden. Er hat sich schon gut eingelebt, als die neue Patientin Anne ihn aus der Bahn wirft: Erst wirft sie ihm einen Wasserhahn an den Kopf, dann reißt sie aus – und statt sie zu verraten, versteckt er sich mit ihr im Wald. Doch die junge Liebe ist zerbrechlich und wird bald auch von außen bedroht. Denn das Jahr ist 1986, der Super-GAU von Tschernobyl geistert durch die Nachrichten – und Annes Psychose macht ihr ausgerechnet Angst vor Atomkraft … Wie stark sich Erdmöbel-Sänger und Autor Markus Berges für „Irre Wolken“ von der eigenen Biografie hat inspirieren lassen, ist sein Geheimnis, das Alter würde jedenfalls passen. Sein Roman ist das einfühlsame, oft lakonische Porträt eines jungen Mannes an der Schwelle zum Erwachsenwerden, das die komplexe Beziehung im Zentrum ebenso plastisch zum Leben erweckt wie das Lebensgefühl der 80er.
Rowohlt Berlin, 2024, 288 S., 24 Euro
4. Barbara Kingsolver: Demon Copperhead
„Das Kind einer Junkiebraut ist ein Junkie.“ Barbara Kingsolver hat ihren mit dem Pulitzer-Preis 2023 prämierten Roman an „David Copperfield“ von Charles Dickens angelehnt. In „Demon Copperhead“ lässt sie den rothaarigen Ich-Erzähler vom Elend seines Heranwachsens im ländlichen Virginia berichten. Als Damon Fields auf dem Boden eines Trailers zur Welt kommt, ist seine drogenabhängige Teenager-Mutter bewusstlos, sein Vater tot. Schon als Kind muss er sich um die überforderte Mutter kümmern. Sie verliebt sich in einen brutalen Typen, der Damon misshandelt, und schließlich stirbt sie an einer Überdosis Medikamente. In der Folge durchwandert Damon Pflegefamilien, die ihn auf Tabakplantagen schuften oder für Crystal-Meth-Labore arbeiten lassen … Im März stellt Barbara Kingsolver den wunderbar schnoddrigen Sound ihres Antihelden auch bei einer Lesereise vor: 11.3. München, 12.3. Köln, 13.3. Frankfurt, 14.3. Hamburg.
dtv, 2024, 864 S., 26 Euro
Aus d. Engl. v. Dirk van Gunsteren
TOP 3
3. Lene Albrecht: Weiße Flecken
Im Auftrag, Fluchtursachen zu erforschen, ist Ellen für das Bundesamt für Migration und Flucht nach Togo gereist. Für ihre Freundin Neda ist sie eine Opportunistin. Sei das BAMF doch ohnehin nicht an echten Lösungen interessiert. Mit diesem Vorwurf im Gepäck landet sie inmitten einer von europäischen Geldern finanzierten NGO-Infrastruktur, die wie ein Pilzbefall die Region übersät. Statt auf eindeutige Antworten stößt Ellen auf ganz individuelle Schicksale, die von einem – im wahrsten Sinne – gewaltigen kolonialen Erbe Europas und seiner vermeintlich abgeschlossenen Geschichte zeugen. Mit jeder Begegnung wächst ihre Scham.
„Ich will, dass die Leute meine Geschichte kennen, aber ich habe immer Angst, hinter ihr zu verschwinden“, erklärt ihr eine Schneiderin. Ein zentraler Satz in Lene Albrechts autofiktionalem Roman. Wie und von welcher Position aus lässt sich Geschichte adäquat erzählen, ohne Gewalt zu reproduzieren? Und wann ist es an der Zeit, zuzuhören? Nach einigen Tagen Krankenhausaufenthalt landet Ellen wieder in Deutschland. Diesmal mit einem persönlichen Rechercheauftrag: Wieso ist ihre Urgroßmutter vor über 100 Jahren aus Panama nach Deutschland gekommen? Der in drei Teile gegliederte Roman ist eine anekdotische wie historische Spurensuche, die sich Zweifel zugesteht und eine von narzisstischen Kränkungen und Gewalt durchzogene Geschichte freilegt. Eine Warnung, wie fatal es ist, sich aus historischen Kontexten herauszuziehen und für standpunktlose Beobachter:innen zu halten.
S. Fischer, 2024, 256 S., 24 Euro
2. Angelo Tijssens: An Rändern
„Nicht viel. Du?“ Mit einer ins Handy getippten Nachricht endet der Roman, und obwohl sich dieser letzte Satz aus so viel Hoffnungslosigkeit speist, liegt in ihm vielleicht auch ein Neuanfang. Angelo Tijssens, der mit den Drehbüchern zu den Filmen „Girl“ und „Close“ von Lukas Dhont für internationales Aufsehen gesorgt hat, veröffentlicht mit „An Rändern“ sein Romandebüt. Ein junger Mann kehrt nach dem Tod der Mutter in seinen Heimatort an der Küste Flanderns zurück und wird von den Erinnerungen an die traumatische Jugend eingeholt: die körperlichen Misshandlungen seiner Alkoholikermutter, vermeintlich unüberlegte Bemerkungen, die das Selbstwertgefühl angreifen, und ein Umfeld, in dem für queeres Begehren kein Platz ist. Doch der Protagonist sucht auch den Kontakt zu einem ehemaligen Mitschüler, seiner ersten, in der Heimlichkeit gelebten Liebe, die mit der Flucht in die Stadt ein abruptes Ende gefunden hat … Es sind die poetischen und zugleich so detaillierten, assoziationsreichen Bilder, mit denen Tijssens auf gerade mal 124 Seiten eine derartige Intensität erzeugt, dass drei ins Telefon getippte Worte sehr lange nachhallen.
Rowohlt, 2024, 124 S., 22 Euro
Aus d. Niederl. v. Stefanie Ochel
1. Fien Veldman: Xerox
Alle, die schon einmal einen Bürojob hatten, kennen sie: die endlose, stupide Langeweile zwischen Meetingraum und Kaffeemaschine. Die Ich-Erzählerin hat sich vom Brennpunkt nach oben gearbeitet, druckt jetzt für ein Start-up Emails aus und fristet ein einsames Leben. Tagelang jagt sie einem Paket nach, das an ihre Firma geschickt wurde – im Schneckentempo, da ihr Körper gegen Stress allergisch ist. Ihr engster Vertrauter ist ihr Drucker, mit dem sie laute Gespräche führt, bis sie beurlaubt wird. Jetzt hat ihr Leben noch weniger Inhalt als vorher, und im Vakuum regen sich umso stärker die Erinnerungen an ihre Jugend. Damals haben sie und ihre beste Freundin eine radikale Maßnahme ergriffen, um für Gerechtigkeit zu sorgen … Fien Veldman bildet in ihrem Debütroman die Absurditäten der modernen Arbeitswelt ab, mit feinem Humor und einem jederzeit präsenten Unterton des Grauens. Die innere Leere ihrer Protagonistin ist ein Produkt von Kapitalismus und sozialer Ungleichheit, doch das Geheimnis ihrer Vergangenheit fügt dem bekannten Szenario noch eine weitere Ebene hinzu. In nur scheinbar zugänglicher Sprache verfasst, ist auch der Roman selbst tiefgründiger als gedacht – mit formalen Experimenten wie dem Kapitel, das aus der Sicht des Druckers erzählt wird.
Hanser, 2024, 224 S., 23 Euro
Aus d. Niederl. v. Christina Brunnenkamp
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