Die besten Krimis 2020: Empfehlungen für den November
Hochspannung, mit der man besser durch die dunklen Tage kommt: Die besten Krimis im November 2020 mit Volker Kutscher, Hans Rosenfeldt und Lars Schütz.
Thrill für die dunkle Jahreszeit: Mike Knowles düsterer Polizeiroman „Tin Men“ zeigt, dass der hierzulande vernachlässigte kanadische Hardboiled-Noir so einiges zu bieten hat. Lars Schütz erweitert den Kanon der Foltermethoden, während Sven Heuchert auf die Jagd und die volle Wucht der Provinz setzt. Beide schaffen es auf unsere Liste der besten Krimis im November 2020. Der schwedische Thriller-Schriftsteller Hans Rosenfeld ist als Teil eines Autorenduos bekannt und hat mit erfolgreichen TV-Serien wie „Marcella“ und „Die Brücke – Transit in den Tod“ seinen Stil gefunden. Und jetzt verändert er im Alleingang mit dem Serienstart „Wolfssommer“ auch noch ein ganzes Genre … Reicht das, um sogar an Volker „Babylon Berlin“ Kutscher vorbeizuziehen, der mit „Olympia“ den achten Roman aus seiner Reihe um Gereon Rath vorlegt?
5. Lars Schütz: Rache auf ewig
Gefesselte Menschen ungeschützt dem Unbill der Natur auszusetzen, gehört seit jeher zum Kanon der Foltermethoden. Dabei ist neben Einfallsreichtum auch physikalisches, chemisches oder biologisches Wissen gefragt, um den Tod plangemäß langsam und qualvoll herbeizuführen. Thrillerautoren übertreffen sich im Wettstreit um die kreativste und grausamste Pein. Der latente Horror-Hunger der Leser muss schließlich mit immer neuen Varianten gestillt werden. Krimischriftsteller Lars Schütz bringt sich da jetzt mit Bambus ganz weit nach vorne. Bambus? In seinem neuen Roman lässt er die kraftvoll wachsende Pflanze sich unerbittlich durch den Leib eines auf einem Bett fixierten Managers bohren. Ein selbsternannter Erlöser richtet hochrangige Unternehmer, die profitgeil den „Garten Eden“ ausbeuten. Wer für die Abholzung des Regenwaldes, Massentierhaltung oder die Großwildjagd verantwortlich ist, soll am eigenen Leib die Rache der Natur erfahren. Mit im Sortiment des Öko-Killers: ein Ölfass, eine Ferkel-Kastrationszange und ein Häutungsmesser. Da bleibt den beiden Profilern Jan Gral und Rabea Wyler in ihrem dritten Roman buchstäblich die Luft weg, als sie dem Irren auf die Spur kommen und in seine Falle gehen. Schnappatmung ist also garantiert – und ein Platz auf unserer Liste der besten Krimis im November 2020 auch. Nur sollte man „Rache auf ewig“ besser nicht lesen, um sich für die nächste Fridays-for-Future-Demo auf Temperatur zu bringen …
Ullstein, 2020, 368 S., 9,99 Euro
4. Sven Heuchert: Alte Erde
Es riecht nach nassem Leder, altem Mann und totem Fuchs: In den Wäldern der abgelegenen Provinzkäffer Vierheilig und Altglück werden zwischen dunstig verhangenen Bäumen mit einem Fingerknick Leben ausgelöscht. Für Waidmann Wouter Bisch ein zelebrierter Augenblick mit festen Regeln. Mit rituellen Abläufen vor und nach dem Schuss, die vom Respekt vor dem Leben und dem Tod zeugen. Jäger verstehen sich als Teil der Natur – verweichlichte Großstädter können das nicht kapieren. Die Provinz steht immer im Verdacht, schratige Parallelgesellschaften zu generieren: Auf Eindringlinge und Veränderungen wird im besten Fall ignorant reagiert, denn sie stören die natürliche Ordnung. Der geplante Bau eines Versandhauslagers gehört dazu, und auch Thieß, der mit seiner Freundin nach langer Zeit zu seinem Bruder Karl zurückkehrt. Alte und neue Konflikte kochen hoch und entladen sich in Gewalt … Sven Heuchert schildert Sinneseindrücke, wortkarge Männergespräche und die verschlungene Handlung eher betrachtend als erzählend. Derart detailreich und eindrücklich, dass sie in der überladenen Schwere kaum auszuhalten sind. Wer sich trotzdem darauf einlässt, bekommt ein Leseerlebnis, dem man sich so schwer entziehen kann wie einer abgefeuerten Schrotladung. Heuchert lässt uns die volle Wucht der Provinz spüren. Aber dort leben? Nein danke! Auf unserer Liste der besten Krimis im November 2020 steht Sven Heuchert natürlich trotzdem.
Ullstein, 2020, 216 S., 22 Euro
3. Mike Knowles: Tin Men
Woody, Os und Dennis sind gestörte Arschlöcher – und vielleicht deswegen die besten Cops im kanadischen Hamilton. Der eine pusht sein Kombinationstalent dermaßen mit Adderall, dass er sich mit Heroin wieder runterpegeln muss. Der andere poltert mit zynischem Machogehabe und Gewaltausbrüchen durch die Gegend. Und der dritte poliert sein Ego, indem er sich mit Blowjobs von transsexuellen Prostituierten bedienen lässt. Als Team sollen sie den brutalen Mord an ihrer Kollegin Julie aufklären, der ihr ungeborenes Kind aus dem Leib geschnitten wurde. Jeder von ihnen stand in einer anderen Beziehung zu Julie, jeder versucht auf seine Art, das Motiv und den Täter zu finden. So stehen sich Woody, Os und Dennis während der Ermittlungen gegenseitig im Weg. Die Zahl der Verdächtigen steigt genauso, wie es verhängnisvolle Zwischenfälle gibt. Am Ende trifft ein Schuss versehentlich ins Schwarze – und es gibt nur noch Verlierer … Mike Knowles düsterer Polizeiroman zeigt, dass der hierzulande vernachlässigte kanadische Hardboiled-Noir so einiges zu bieten hat. „Tin Men“ schafft es auf unsere Liste der besten Krimis im November 2020, denn Knowles schafft tragische Protagonisten, die verzweifelt gegen den eigenen Kontrollverlust ankämpfen und bei der Gratwanderung zwischen Gut und Böse nicht mehr erkennen, wann sie die Grenze überschreiten. Zum Ende wird der Fall gelöst – aber auf die Schulter geklopft wird niemandem.
Polar Verlag, 2020, 370 S., 14 Euro
Aus d. Engl. v. Karen Witthuhn
2. Volker Kutscher: Olympia
Die olympischen Spiele in Berlin haben gerade begonnen, da stirbt auch schon ein Amerikaner im Olympischen Dorf. Er kriegt einen blauroten Kopf, kotzt im Strahl über den Tisch und fällt um. Da Nazi-Deutschland aber aus Imagegründen ums Verrecken keinen internationalen Skandal braucht, wird Gereon Rath vor Ort geschickt, um nur Beweise für einen natürlichen Tod zu finden. Volker Kutscher ist mit seinem achten Rath-Roman im Jahr 1936 angelangt und lässt seinem Helden kaum noch Luft zum Atmen. Die Chefetage in der Roten Burg – Berlins berühmtes Gebäude der Kriminalpolizei – ist längst gesäubert worden, überall geben nur noch Nationalsozialisten die Befehle. Rath erhält sie mal wieder von Reinhold Gräf, der inzwischen von der Gestapo zur SS gewechselt ist. Als dann nicht nur Menschen im Olympischen Dorf sterben, sondern Mitglieder des Regiments General Göring vom Himmel fallen, von LKWs überfahren oder im Rollstuhl in den See geschubst werden, weiß Rath, dass ihn die Vergangenheit eingeholt hat. Derweil wird nur 100 Kilometer weiter von politischen Gefangenen das KZ Sachsenhausen gebaut. Volker Kutscher ist erneut ein bedrückendes Dokument fiktionalisierter Zeitgeschichte gelungen, und natürlich steht er auf unserer Liste der besten Krimis im November 2020 – auch wenn es für die Spitzenposition nicht ganz gereicht hat.
Piper, 2020, 544 S., 24 Euro
1. Hans Rosenfeldt: Wolfssommer
In seiner neuen Romanserie stellt Hans Rosenfeldt vielschichtige Frauenfiguren in den Vordergrund. Hannah Webster erscheint auf dem ersten Blick nicht gerade spektakulär: Die Polizistin hat zwei erwachsene Kinder, Hitzewallungen, einen Mann, der sich von ihr entfremdet hat und eine Affäre mit ihrem knackigen Vorgesetzten. Doch sie belastet ein Trauma: Vor 26 Jahren verschwand ihre damals zweijährige Tochter Elin spurlos. Hannah gibt sich selbst die Schuld und ist davon besessen, sie lebend wiederzufinden. Neben dieser Suche und dem aktuellen Fall kämpft sie gleichzeitig darum, nicht auch noch ihren Mann zu verlieren, denn dessen Abkehr erscheint ihr sonderbar. Zum anderen lässt uns Hans Rosenfeldt auch mit der Killerin Katja mitfiebern. Sie wird von Kindesbeinen an in einer russischen „Akademie“ zur eiskalten Tötungsmaschine gedrillt, und bei ihren Einsätzen wird sie von ihrem zwielichtigen Vorgesetzten „Onkel“ geführt. Katja wechselt ihren Namen genauso oft wie ihre Tötungsmethoden. Problemlos nimmt sie es mit mehreren Gegnern gleichzeitig auf – zur Not auch mit einem beherzten Biss in die Halsschlagader. Die Drogen und das Geld wieder aufzuspüren ist jedoch selbst für Katja nicht problemlos: In dem verschlafenden Städtchen trifft sie unerwartet auf Gegenspieler, die sie fatal unterschätzt … Welche Plot-Twists sich Rosenfeldt für die Romane nach „Wolfssommer“ noch einfallen lassen wird, bleibt spannend. Im ersten Band der neuen Serie legt er Spuren, platziert Cliffhanger und lässt Raum für die Verbindungen und weitere Entwicklungen der (überlebenden) Charaktere. Dass er klischeebefreit erzählen und den nordischen Krimi weiterentwickeln kann, hat er schon mit seinen Fernsehserien „Die Brücke – Transit in den Tod“ und „Marcella“ klargemacht. Die spielten in Großstädten und zeigen, dass gleichgeschlechtliche Partnerschaften nicht mehr gerechtfertigt werden müssen und Menschen unterschiedlicher Hautfarbe keine Hierarchien versinnbildlichen. Davon ist man im Provinzkaff Haparanda natürlich weit entfernt. Wirtschaftlich scheint nur die weltweit nördlichste Ikea-Filiale relevant zu sein, Mückenspray ist wichtiger als Deo, und wenn man was mit Drogen dazuverdienen kann, probiert man es eben aus. Rosenfeldt legt mit kleinen Alltagsereignissen die Identität der Kleinstadt frei und schafft einfühlsame Menschenporträts. So entwickelt er neben der Thrillerhandlung und der für den Nordic Noir so typischen Gesellschaftskritik auch eine moderne Form des Unterhaltungsromans. Und damit belegt Hans Rosenfeldt den Spitzenplatz auf unserer Liste der besten Krimis im November 2020.
Wunderlich, 2020, 480 S., 22 Euro
Aus d. Schwed. v. Ursel Allenstein