Dietmar Dath: Neptunation
Mit „Neptunation“ legt Dietmar Dath einen Science-Fiction-Roman alter Schule vor: politisch, theorielastig und hochgradig nerdig.
Aliens, Pop und Marxismus.Klingt erst mal großartig, und das ist es auch. Unter Vorbehalt. Eine gemeinsame Weltraummission der DDR und der Sowjetunion in den letzten Tagen des Kommunismus geht kurz vor dem Neptun verschollen. Dort geschieht eine Spaltung: Ein Teil der idealistischen Mission gründet eine Siedlung auf einem Asteroidengürtel. Sie passen sich dort nach und nach genetisch und bionisch an die Anforderungen ihrer Gesellschaftsform an. „Jeder nach seinen Fähigkeiten …“, und so weiter. Der Rest der Mission lässt sie zurück, sucht nach etwas Neuem jenseits des Bekannten. Auf der Erde stellt derweil die mysteriöse Cordula Späth ein disparates Team aus einem Linguisten, einem Bundeswehrsoldaten und diversen Wissenschaftler*innen zusammen, die der verschollenen Mission auf die Spur gehen sollen. Denn der radikale Flügel der Neptun-Enklave plant einen Krieg gegen die imperialistische Erde, und ihre Hybrid-Soldaten tragen neben dem genetischen Material diverser Spinnentiere auch die DNS eines alten Bekannten von Frau Späth.
Der glorreich überfrachtete Plot ist so noch nicht einmal ansatzweise umrissen – das ist Science-Fiction der alten Schule: politisch, theorielastig und hochgradig nerdig, doch scheitert die Vermittlung am Tempo. Immer wieder müssen neue Figuren etabliert werden, und wenn die Handlung nach einem guten Drittel des beinahe 700 Seiten starken Mammutwerks endlich Fahrt aufnimmt, unterbricht Dietmar Dath sie immer wieder, um die Protagonist*innen über Popmusik und Kommunismus, Filme und Bücher, Liebe und Disco sinnieren zu lassen – und dabei klingen sie allesamt gleich, nämlich wie Dietmar Dath. Wenn man also nicht Dietmar Dath ist, braucht es eine gewisse Grundsympathie für das Thema, viel Nachsicht für die Figuren von der Stange und Geduld für die Schleudertrauma-induzierenden Tempowechsel. Geduld braucht es auch für die Frontalvermittlung davon, warum zum Beispiel die frühe Miley Cyrus der Post-„Bangers“-Cyrus vorzuziehen ist oder das zweite Lorde-Album besser als das erste ist. Doch sofern diese zugegeben hohen formellen Anforderungen erfüllt sind, löst „Neptunation“ seine inhaltlichen Ansprüche allesamt ein. jl
Dietmar Dath Neptunation
Fischer Tor, 2019, 688 S., 17 Euro