„Eusexua“ von FKA twigs: Willkommen im Club

Mit ihrem neuen Album schafft FKA twigs den Spagat zwischen Artpop und Mainstream. Das Konzept von „Eusexua“ trifft den Nerv der Zeit.
Am vergangenen Freitag ist mit FKA twigs’ „Eusexua“ schon jetzt eines der am heißesten erwarteten Alben des Jahres erschienen. Eigentlich komisch, war die letzte neue Musik der Künstlerin doch noch gar nicht so lange her: Das letzte Langzeitprojekt „Caprisongs“ ist 2022 erschienen, danach gab es noch zwei Stand-alone-Singles. Aber gut, „Caprisongs“ ist offiziell nur ein Mixtape, kein richtiges Album. Und, was wichtiger ist: Es wurde zwar so positiv aufgenommen wie eigentlich alle Musik, die FKA twigs bisher veröffentlicht hat.
Und doch war für viele Fans klar, warum „Caprisongs“ eben kein Album war – weniger monumental und genrebrechend als „Magdalene“, das für viele Fans eines der wichtigsten des Jahrzehnts ist (auch für Fans auf dieser Webseite). Stattdessen hat twigs mit dem Mixtape einen großen Schritt Richtung Popmainstream gemacht und vor allem Songs geschrieben, die man vor dem Ausgehen oder auf der Fahrt in den Club hören kann. Sehr gute Songs natürlich – und doch war die große Geste ausgeblieben. Und so haben die Fans weiter gewartet, auf das nächste richtige Album, auf den nächsten Geniestreich.
FKA twigs: Zwischen Popappeal und Experiment
Jetzt also „Eusexua“. Die Frage steht im Raum: Ist es eher ein „Magdalene“ oder eher ein „Caprisongs“? Die Antwort: irgendwie beides. Zumindest thematisch schließt „Eusexua“ nahtlos an den Vorgänger an. Erneut steht die Tanzfläche im Zentrum, das titelgebende Gefühl – eine Wortneuschöpfung von twigs, die „Euphoria“ und „Sex“ kombiniert – stellt sich nämlich nicht nur im Bett, sondern auch im Club ein. Und das schlägt sich natürlich auch musikalisch nieder. Wie twigs selbst berichtet, hat sie ein Aufenthalt in Prag, wo sie während der Dreharbeiten zu „The Crow“ hingezogen war, mit der Technoszene der Stadt in Kontakt gebracht. Spuren davon finden sich auf „Eusexua“ überall, neben Garage-Einflüssen aus twigs’ britischer Heimat.
Da ist der sich langsam aufbauende House des Titeltracks, der Four-to-the-Floor-Beat von „Room of Fools“, die stotternden Rhythmen von „Drums of Death“, für den sich twigs mit dem Produzenten Koreless zusammengetan hat, der schon bei „Caprisongs“ mit von der Partie war. Zugleich ist twigs als Sängerin immer präsent, sodass „Eusexua“ auch voller Pop-Appeal steckt. „Perfect Stranger“, eine Hymne auf anonyme One-Night-Stands, ist mit seiner klaren Struktur und seiner Ohrwurmmelodie gar schon jetzt einer der größten Dancepop-Momente des Jahres – oder streng genommen des letzten Jahres, denn die Single ist bereits 2024 erschienen.
Ausgerechnet North West?
Die großen klanglichen Experimente sind noch immer vorhanden, aber meistens im Hintergrund. Wenn mitten in den sphärisch gehauchten Gesang von „Sticky“ auf einmal verzerrte Synthdrums hineinscheppern oder twigs am Ende von „24hr Dog“ ihre eigene Stimme zu einem mehrspurigen Ambient-Gewebe verschmilzt, ist das noch immer viel radikaler als das, was andere Popstars so machen – zugleich aber so kurz bzw. dezent, dass es die Songs an sich nicht überflutet. Der größte Ausreißer ist „Childlike Things“, aufgebaut um ein Klaviersample und eine wortlose La-la-la-Melodie, auf dem ausgerechnet Kanyes Tochter North West als Gast auftritt und dann auch noch auf Japanisch rappt. So ganz geglückt ist das Experiment nicht, allerdings auch alles andere als langweilig.
Textlich geht es natürlich immer wieder um den titelgebenden Zustand, den twigs aus verschiedenen Richtungen beleuchtet. „And if they ask you, say you feel it/But don’t call it love“, singt sie im Titeltrack. Sondern? Natürlich „Eusexua“. Dabei verwischt sie absichtlich die Grenzen zwischen der Euphorie beim Tanzen („Room of Fools“) und beim Sex („Girl feels good“). In „Striptease“ thematisiert sie die Aufregung und die Schwierigkeit, sich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch zu entblößen: „I’ve got a birthmark on my mind, I think you’ll like it“. Und „24hr Dog“ ist ein Loblied auf das Dasein als Sub in einer sexuellen Beziehung – ein Thema, dem sich FKA twigs nicht zum ersten Mal widmet. Erst im Schlusstrack „Wanderlust“ wird nicht nur die Musik balladenhaft, sondern auch die Beziehung, um die es geht, komplexer.
Insgesamt schafft FKA twigs hier den Spagat zwischen ihren experimentelleren Impulsen und einem Mainstream-Sound, der ein Grund dafür sein könnte, dass „Eusexua“ gut und gerne ihr bisher erfolgreichstes Album werden mag. Denn auch konzeptuell passt die Platte perfekt in die Zeit. So persönlich und authentisch twigs’ Liebe zum Club sein mag – etwa hatte Koreless die Idee zum Beat von „Drums of Death“ auf dem Weg ins Berghain – so weitverbreitet ist sie auch. Wer sich die großen Popalben der letzten Jahre in Erinnerung ruft, wird sich erinnern, dass der Club als Refugium, insbesondere seit der Pandemie, dort eine zentrale Rolle gespielt hat.
„Eusexua“ trifft den Nerv der Zeit
Beyoncé mit „Renaissance“, Kylie Minogue mit „Disco“ und „Tension“, Jessie Wares letzte Platten, Dua Lipas „Future Nostalgia“, sowohl Romy als auch Jamie xx mit ihren aktuellen Soloalben und natürlich Charli XCXs „Brat“ – die Mischung aus Pop und Club ist gerade besonders en vogue. Bezeichnend auch, dass gleich mehrere dieser Alben noch einmal als Club-Remix-Fassung erschienen sind. Natürlich ist die Mischung auf der musikalischen Ebene nicht neu, sondern seit der Entstehung des Dancepop Teil der DNS beider Musikrichtungen. Auch die 2010er-Jahre waren dominiert von dem Pop-EDM-Hybrid von Sia, David Guetta oder Lady Gaga.
Während es in den damaligen Songs allerdings um alles und nichts gehen konnte, rückt der Club auch textlich und konzeptuell immer mehr ins Zentrum. Er wird explizit thematisiert: als Ort der Freiheit, als queerer Space, als politische Utopie. Auf „Renaissance“ hat Bey eben nicht nur Disco und House gefeiert, sondern sich auch vor den – oft Schwarzen und/oder queeren – Pionier:innen dieser Genres verneigt.
Sicherlich hängt das mit den Lockdowns zusammen, in denen sich Menschen zunehmend nach sozialen Kontakten gesehnt haben – und was könnte weiter von einem Lockdown entfernt sein als eine schwitzende, namenlose, tanzende Menge? Und natürlich ist es richtig, dass endlich auch die Schlüsselfiguren dieser Musik die Anerkennung bekommen, die sie verdienen. Zugleich wirkt dadurch allerdings auch twigs’ neues Album, ja das ganze Konzept „Eusexua“, weniger radikal, weniger originell, als es vielleicht vor fünf, geschweige denn zehn Jahren erschienen wäre. Den Streaming- und Verkaufszahlen wird das nicht schaden, im Gegenteil. Doch die Fans, die noch immer auf ein zweites „Magdalene“ warten, werden sich womöglich eine heimliche Träne wegwischen – und dann doch wieder „Eusexua“ von vorne beginnen.