„Everyone is f*cking crazy“ in der ARD
Kann psychische Krankheit auch lustig erzählt werden? „Everyone is f*cking crazy“ versucht es zumindest. Eine Gratwanderung in der ARD-Mediathek.
„Everyone is f*cking crazy“: ab sofort in der ARD-Mediathek
Auch wenn für die Fynn Kliemanns dieser Welt Krise auch ziemlich geil sein kann, ist sie für die meisten erstmal ziemlich beschissen: „Nicht jede Krise ist eine Chance, manchmal ist sie auch einfach scheiße“, sinniert die leicht apathische Derya (Via Jikeli) in einer Szene der neuen ARD-Serie Everyone is f*cking crazy (ab sofort in der ARD-Mediathek). Doch immerhin ist Derya mit ihrer Krise nicht allein: Als ihre Therapeutin Dr. Thomalla (Jeanette Hain) tot vor ihrer Praxis aufgefunden wird, gibt sich Derya als ihre Assistentin aus, schlüpft an der Polizei vorbei in die Praxis und begegnet drinnen nacheinander Chloë (Maja Bons), Malik (Arsenij Walker) und Schröder (Luise von Stein), die allesamt auch bei Thomalla in Behandlung sind. Kurzerhand beschließt Derya ihre Assistentin-Tarnung aufrechtzuerhalten und die Therapie der drei Jugendlichen nun selbst fortzuführen – allerdings gerät das Projekt schnell an seine Grenzen.
„Nicht jede Krise ist eine Chance, manchmal ist sie auch einfach scheiße“
Malik ist suchtkrank, hat Polytoxikomanie und läuft dauer-dekonstruierend durchs Leben. Chloë leidet unter extremen Angstzuständen und Zwängen. Für sie bedeutet ein Zebrastreifen 1 000 Möglichkeiten des Weltuntergangs. Schröder hat ein ausgewachsenes Aggressionsproblem, eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und ein Vorstrafenregister, das Zeuge ihrer rechten Vergangenheit ist. Und Derya? Ja, Derya spielt erstmal die Gruppentherapeutin. Dass das nicht lange gut gehen kann, ist eh klar, und so eskaliert bereits die erste richtige Sitzung. Irgendwie raufen sich die vier dann aber doch wieder zusammen, woraus eine höchst gefährliche, explosive Freundschaft entsteht. Jede der circa 25-minütigen Folgen bringt uns näher an die Jugendlichen: Wieso sie so geworden sind, wie nun mal sind, und was die Ursachen für ihre psychischen Krankheiten waren. Bereits nach wenigen Folgen hat man die vier durchaus ambivalenten Charaktere ins Herz geschlossen, was nicht zuletzt an unvorhersehbaren Dynamik innerhalb der Gruppe liegt.
Everyone is f*cking crazy wagt eine Gratwanderung, psychische Erkrankungen und Therapie mit impulsivem und mitunter inkorrektem Humor zu verbinden, ohne sich dabei substantielle Abstriche leisten zu müssen – und es gelingt. Natürlich steckt in Ängsten und Zwängen immer auch das Komische. Humor ist am Ende bloß das Ventil, mit dem wir die über uns hereinstürzenden Realität abfedern. Doch die Serie macht sich keineswegs über psychische Erkrankungen lustig, noch ist die sonderlich albern – im Gegenteil: Sie schafft eine enttabuisierte Atmosphäre, in der offen die lustigen wie auch die tragischen Seiten des alltäglichen Lebens mit psychischen Erkrankungen abseits der klassischen Depression sein können. Gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist das ein erfrischender Umgang mit der Thematik.
Der Cast der vier Hauptdarsteller:innen ist fantastisch, und auch die jugendliche Ästhetik der Serie ist größtenteils stimmig. Soundtrack, die Slow-Motion-Sequenz zu Beginn der ersten Folge und Voice-Overs erinnern öfters an „Euphoria“, und auch Derya kommt Rue, der Hauptrolle des US-amerikanischen Genrehits, oft auffällig nah. Doch es gibt mit Sicherheit schlechtere Vorbilder. Allerdings muss die Frage gestattet sein, wieso in jeder vermeintlich „jungen“ Produktion des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks irgendeine Person ein Skateboard als Signum ihrer Jugendlichkeit unter den Arm geklemmt bekommt – das erinnert einfach zu schmerzlich an die Longboard-Fraktion Kliemann. Doch wer weiß, vielleicht klärt sich das ja nach der dritten Folge auch noch auf.