„Cunts!“: Auf der Fontaines-D.C.-Tour fliegen die Fetzen
Ein wilder Löwe, eine maue Vorband und ein fluchender Grian Chatten. So unterschiedlich liefen die Deutschland-Konzerte von Fontaines D.C.
Willkommen im kulturnews-Konzertklub: In regelmäßigen Abständen schicken wir unsere Leser:innen als Undercover-Reporter:innen auf die wichtigsten Konzerte in Deutschland, um uns davon zu berichten. Im November waren Sabine, Leona, Hannes und Samira bei den vier Konzerten der irischen Postpunkband Fontaines D.C. in München, Berlin, Hamburg und Köln. Die Meinungen zu den Konzerten gehen weit auseinander, was nicht zuletzt an der Verfasstheit des Frontmannes Grian Chatten gelegen hat. Aber lest selbst …
Sabine (München, Zenith)
„My childhood was small, but I’m gonna be big!”, brüllt Frontman Grian Chatten durchgehend in „Big“, dem ersten Song auf „Dogrel“, dem ersten Album von Fontaines D.C. Der Erfolg gibt der Band recht, die jetzt auch außerhalb Irlands und Englands große Locations füllt, und das als Hauptact. Vor einem guten Jahr tourten sie mit den Arctic Monkeys durch die USA, erlebten dort große Bühnen und schrieben nebenbei ihr neuestes Album „Romance“. Das stellten sie im Zenith vor.
Dort war es ziemlich voll, es war ziemlich laut, und es war leider ziemlich vorhersehbar: Nach der tollen Vorband Wunderhorse und ein bisschen Musik vom Band (seltsamerweise fast ausschließlich Songs des Hauptacts) enterten Fontaines D.C. die verhängte Bühne, nur am Rand war ein mit einer rot-grün-weiß-schwarzen Flagge behängtes Instrument zu sehen. Der dröhnende Bass vom Opener „Romance“ lenkte erst einmal davon ab, der Vorhang fiel und die Adidas-Jungs legten los, wie immer auf der aktuellen Tour. Wer die Setlist von anderen Gigs kannte, der wusste, wie es weitergeht.
BC and GLC: I love you
Ein Bandmitglied stammt tatsächlich aus Dublin City, die anderen aus irischen Counties bzw. Spanien. Da sie sich aber in Dublin getroffen, gegründet und dort zu Anfangszeiten gelebt hatten, setzten sie ein DC (für Dublin City) ans Fontaines, eine Reminiszenz an den Patensohn Johnny des Paten Vito Corleone. Das Band-Logo strahlte passend zu den Songs und den Scheinwerfen groß über der Bühne, am passendsten, in grün-weiß-orange, zu „I love you“, dem Hass-Liebe-Song für/über Irland.
Póg mo thóin
Es ist nicht sehr cool, seine Fans zu beleidigen: Sänger Grian Chatten beschimpfte die Menge als „Cunts!”, die, bis auf die Menschen direkt vor der Bühne, nichts von der Verletzung eines Fans mitbekommen hatten. Die Band hatte mitten im Song abgebrochen und stand auf der Bühne herum. Verspielt, falscher Einsatz? Den meisten war nicht klar, dass die ersten Reihen von der Security ein paar Schritte zurückgebeten wurden, um Platz für medizinisches Personal und einen Stretcher zu machen. Dass ein paar deshalb johlten und die Fontaines zum Weiterspielen aufforderten, war verständlich – und kein Grund, die Fans im Allgemeinen (und auch nicht im Besonderen!) zu beschimpfen. Gerade nicht als Band, die sich über die Liebe zur Literatur (Yeats, Ginsberg, Joyce …) gefunden hatte.
Fontaines D.C. sind auf dem Weg, große irische Dichter zu werden. Den notorischen Bono und seine gesungenen Gebete haben sie hinter sich gelassen, am noch unbekannten Meryl Streek jedoch (ebenfalls aus Dublin) führt noch kein Fontaines-Gedicht vorbei. Und der immer dichte Dichter Shane MacGowan bleibt unerreicht. Die Gigs seiner Pogues in München waren Erdbeben und haben die Messlatte für irische Bands zu hoch platziert für die Fontaines. Auch die Stiff Little Fingers brachten ihre Fans regelmäßig zum Ausrasten, während Fontaines D.C. gerade mal zum Mitklatschen animierten.
Leona (Berlin, Uber Eats Music Hall)
Nachdem „Romance“ zu dem mit Abstand meistgehörten Album dieses Jahres für mich geworden ist, war die Vorfreude auf die Show in der Uber Eats Music Hall riesig. Das Konzert wurde mit einer aufregenden Lichtshow eröffnet, die mit dem simplen, aber eindrucksvollen Bühnenbild perfekt abgestimmt war. Wir wurden ab dem ersten Song („Romance“) direkt mitgerissen. Die Band hat wenig Worte verloren, dafür aber jeden Song wahnsinnig gut performt. Grian Chatten wütete wie ein wilder Löwe im Käfig über die Bühne und drehte unermüdlich seine Runden. Die Energie auf der Bühne übertrug sich schnell auf das Publikum, und spätestens beim dritten Song „Televised Mind“ kam richtig Bewegung in die Menge.
Die Band spielte sich einmal quer durch ihre gesamte Diskografie und ließ keinen Fan-Liebling aus. Sowohl die wilden und harten Postpunksongs als auch die melancholischen kamen beim Publikum richtig gut an. Besonders in den ruhigen Momenten wurde einem bewusst, was für ein guter Sänger Chatten ist. Nach einer Zugabe und insgesamt anderthalb intensiven Stunden fand die Show dann ein krönendes Finale in dem stampfenden Hit „Starbuster“. Was für eine Show! Ich freue mich jetzt schon auf das nächste Fontaines D.C. Konzert in Berlin. Dann wahrscheinlich direkt im Olympiastadion. Dieser Band ist das ohne weiteres zuzutrauen.
Hannes (Hamburg, Sporthalle)
Es gab leider eine stinklangweilige Vorband (Wunderhorse), die unerklärlicherweise ganz gut ankam. Fontaines D.C. war schon gut, kamen aber nicht an die Qualität ihres letzten Konzertes im Grünspan heran. Das war aber aufgrund des schwachen neuen Albums und der unsexy Halle auch nicht zu erwarten. War mir etwas zu zahm und hatte einige Hänger. War aber im Endeffekt ein schöner Abend.
Samira (Köln, E-Werk)
Meine Vorfreude auf Fontaines D.C. war riesig und die Energie im ausverkauften E-Werk in Köln von der ersten Sekunde spürbar. Das Bühnenbild war einfach, aber absolut wirkungsvoll. Als die ersten Töne zu „Romance“ starteten, war es um mich geschehen, dieser Sound und die Atmosphäre waren mitreißend. Auch das Lichtspiel passte perfekt zur Inszenierung.
Sofort hatte ich das Gefühl, dass jeder im Raum die gleiche Leidenschaft teilte und die Realität für einen Augenblick vergessen konnte. Es war ein Moment, in dem wir alle eins waren – eine Gemeinschaft von Musikliebhabern. Die Setlist war eine perfekte Mischung aus Neu und Alt. Egal, ob „Jackie down rhe Line“, „Televised Mind“, „Roman Holiday“, „Favourite“, „I love you“ oder „Starburster“ – alle Songs wurden vom Publikum geliebt und gefeiert. Bei jedem einzelnen Song konnte ich nicht anders, als in Gedanken zu versinken und die Emotionen zuzulassen. Das Konzert von Fontaines D.C. war ein eindrucksvolles Erlebnis, welches ich wirklich nicht mehr missen möchte.