„Freiheit ist das Einzigste, was zählt“: Reichsbürger sind einfach nur peinlich
In der Satire-Serie verliert sich eine Gruppe von Reichsbüger:innen in der eigenen Konfusion – und Regisseur Jan Bonny und sein Ensemble sind ihnen dicht auf den Fersen.
„Freiheit ist das Einzigste, was zählt“: Alle Folgen auf ZDF Neo und in der ZDF-Mediathek
Was tun, wenn man mit Deutschland, dem 21. Jahrhundert, der Realität im Allgemeinem unzufrieden ist? Was tun, wenn man sich abgehängt, ignoriert, nicht ernstgenommen fühlt? Klar, man könnte versuchen, Probleme konstruktiv anzugehen, Missstände anprangern, sich engagieren. Oder alles noch schlimmer machen, sich in Verschwörungstheorien versteigen und sich praktisch selbst abhängen – bis einen keine vernünftige Person mehr ernst nehmen kann. Immer mehr Leute scheinen Option 2 zu wählen, und das gilt auch für die kleine Gruppe Reichsbürger:innen im Zentrum von Freiheit ist das Einzigste, was zählt, die heute auf ZDF Neo startet.
Erst kürzlich wurde Anführer „Hans“ (Bibiana Beglau) – benannt nach Hans Scholl – zum König des neuen Deutschland gekrönt, das er mit einer Handvoll Mitverschwörer:innen ausgerufen hat. Vorerst ist damit vor allem das völkisch dekorierte Hauptquartier gemeint, aber der Plan ist, bald die Bundesregierung zu stürzen und sich ganz Deutschland einzuverleiben. Aber was geschieht dann mit den Gegnern, den Repräsentanten der „NGO Deutschland“? Nicht nur über Lager und Todesstrafe wird gestritten, überhaupt ist die Gruppe sich immer wieder uneins.
Dumm, eklig, abstoßend
Das liegt auch daran, dass sie bis auf den Hass auf Deutschland in seiner jetzigen Form nichts verbindet: Manche sind quasi Nazis, doch die Decknamen stammen von Widerstandskämpfer:innen des Dritten Reichs, und andere sehen sich als Erben Stauffenbergs. Viele haben sich durch die Pandemie radikalisiert, sind Coronaleugner:innen oder Impfskeptiker:innen. Georg (Thomas Schubert) ist libertär und will eigentlich vor allem Kunst machen. Und Koch Helmuth (Julian Sark) ist nur wegen seiner Frau Freya (Thekla Viloo Fliesberg) überhaupt dabei. Das kann nicht lange gut gehen – und tatsächlich führen innere Kabbeleien, ideologische Verwirrung und generelle Unfähigkeit dazu, dass Hans’ Pläne regelmäßig scheitern. Auch die eine neue Followerin Ulli (Sibel Kekilli) ist nur dabei, weil Hans sie mit Alkohol besticht. Trotzdem ist sie spätestens, als das erste Blut fließt, wieder raus …
Mit Freiheit ist das Einzigste, was zählt reagieren Regisseur Jan Bonny und sein Ensemble auf den Vertrauensverlust in die deutschen Institutionen. Das Format, das sie gewählt haben, nennt sich „Instant Fiction“: Die sechs Episoden oder Akte sind alle höchstens eine Viertelstunde lang, weshalb sie auf ZDF Neo alle nacheinander als 80-minütiger Film gezeigt werden. „Wir haben so schnell geschrieben, wie es geht, und so schnell gespielt, wie es geht“, sagt Bonny über den Entstehungsprozess. Dass die Produktion bei sechs Drehtagen trotzdem insgesamt sechs Monate gedauert hat, sagt etwas über die Zähflüssigkeit des deutschen Fernsehens aus. Trotzdem ist das Spontane und Improvisatorische, das Bonny und sein Team einfangen wollten, in der Serie erhalten geblieben.
Bonny bleibt seinem „Wintermärchen“-Stil treu
Was sie von Reichsbürgern bzw. Souveränist:innen, von besorgten Bürgern, Coronaleugnern und Co. halten, wird in jeder Einstellung deutlich: Eine unsympathischere Gruppe ist nicht vorstellbar. Hans und sein Gefolge sind dabei weniger böse als einfach dumm und kleingeistig. Bonny und Bildgestalter Jakob Berger inszenieren sie in schwarz-weiß als eklige, abstoßende Karikaturen. Ihnen zuzusehen ist manchmal witzig – vor allem in Kombination mit den lakonischen Untertiteln – zumeist aber eine Tortur, natürlich mit voller Absicht. Ob diese grotesken Miniaturen dabei als Satire im engeren Sinne gelten können, ist fraglich. Denn eine klare politische Kante fehlt, eben weil die Figuren selber keinerlei kohärente Ideologie zusammengekratzt bekommen und sich auch selbst dauernd widersprechen. „Ausbreiten, ausschütten, kleinkauen, fragmentieren – das erschien uns als die angemessene Art, von solchen verschwörungsbeseelten besorgten Bürgern zu erzählen“, erklärt Bonny.
Diese eigenwillige Auseinandersetzung mit politisch brisanten Themen ist nicht neu für den Regisseur. Sein Film „Wintermärchen“ aus dem Jahr 2019 hat sich mit den NSU-Morden auseinandergesetzt, wenn auch in fiktionalisierter Form. Darin führen die rechtsextremen Terrorist:innen ein denkbar tristes und leeres Leben, nur erfüllt mit sinnloser Gewalt und lustlosem Sex. Schon damals war das Ziel die Entzauberung der Figuren, die sich auch in der neuen Serie findet. Die Gründe sind nachvollziehbar: Die Lächerlichmachung macht jede Heroisierung oder Romantisierung, selbst in tragischer Form, unmöglich, das eigentliche Gedankengut bekommt keinen Raum. Die Kehrseite ist, dass auch vollkommen unvorstellbar bleibt, warum sich irgendwer Hans und den anderen Idiot:innen anschließen wollen würde.
„Freiheit ist das Einzigste, was zählt“: Alles nur Theater?
Aber die Beantwortung dieser Frage ist auch nicht das Ziel der Übung. Wie das Format sehr deutlich macht, geht es um eine direkte, teilweise unbewusste Reaktion auf etwas, das womöglich keine Erklärung hat. Die Atmosphäre, die dabei entsteht, ist ungewöhnlich fürs deutsche Fernsehen – wäre an einem anderen Ort aber viel alltäglicher: dem Theater, und das nicht nur, weil die Beteiligten, allen voran Bibiana Beglau in der Hauptrolle, eine lange Geschichte damit haben. Die formalen Experimente, die lokale Begrenztheit der einzelnen Szenen, der Duktus der Schauspieler:innen, all das würde besser auf eine Bühne als vor eine Kamera passen.
Nicht ohne Grund spielt Theater auch in der Serie eine große Rolle, Georg gründet sogar die separatistische Deutsche Theater AG. Inhaltlich ist das nur bedingt gedeckt, auch der Gedanke, dass die ganzen Reichsbürger-Utopien, vielleicht sogar alle Politik vor allem Theater, Rollenspiel sind, wird nur gestreift. Stattdessen werden die Mittel des Theaters genutzt, um die Auseinandersetzung des Ensembles mit einem Stoff sichtbar zu machen, der es eigentlich überfordert. Inwiefern die Zuschauer:innen sich zum Teil dieses Prozesses machen können, wird darüber bestimmen, ob sie der Serie etwas abgewinnen können – oder ob sie nach den ersten unerträglichen Minuten abschalten.