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„Gegen die Wand“ von Fatih Akin auf 3sat

Cahit (Birol Ünel, l.) und Sibel (Sibel Kekilli, r.).
Cahit (Birol Ünel, l.) und Sibel (Sibel Kekilli, r.). (Foto: ZDF/NDR, Kerstin Stelter)

Im radikalen Liebesdrama von Fatih Akin führt die Liebe in den Tod – und schließlich nach Istanbul. Ein Manifest für freies Lieben und Leben.

„Es gibt tausend andere Möglichkeiten, sich das Leben zu nehmen – warum fahren Sie gegen eine Wand?“ Mit Krause am Hals und Zigarette zwischen den Lippen sitzt der 40-jährige Cahit (Birol Ünel) dem Psychiater gegenüber. Gerade so hat er den irren Suizidversuch überlebt, im völligen Suff ungebremst mit seinem Ford Granada gegen eine Betonwand zu rasen. Und auch die junge Sibel (Sibel Kekilli), die er in der Psychiatrie kennenlernt, hat einen Selbstmordversuch hinter sich. Um dem psychischen Würgegriff ihrer konservativen türkischen Eltern zu entkommen, schlägt sie Cahit eine Scheinehe vor – schließlich ist er Türke, und so wären ihre Eltern endlich zufrieden. In seiner völligen Gleichgültigkeit dem Leben gegenüber willigt Cahit ein, sie ziehen zusammen und leben jeweils ihr eigenes Leben: Sibel voller Euphorie und wechselnder Partner, Cahit mürrisch und mit wachsender Eifersucht.

Fatih Akin erzählt mit „Gegen die Wand“ aus 2004 eine radikale wie tragische Liebesgeschichte, die in ihrer Intensität und Schnelligkeit eher einem Kampf als einer Romanze gleicht. Die Abgründe und das Komische verbrüdern sich zu einem brodelnden Gemisch aus Widersprüchen, das überläuft, als Cahit einen von Sibels Liebhabern erschlägt. Anders als zu erwarten, verzeiht sie ihm und verspricht sogar auf ihn zu warten, bis er aus dem Knast entlassen wird. Allerdings hält sie das Versprechen nicht. Als Cahit entlassen wird, ist sie längst in Istanbul.

Akins großer Durchbruchfilm ist so viel mehr als ein Liebesdrama und noch immer hochaktuell. Der Riss, der sich zwischen Cahit und Sibel auftut, sich wieder schließt und öffnet, ist ebenso in beiden Figuren selbst angelegt. „Gegen die Wand“ ist ein ungeschöntes Wühlen in deutsch-türkischer Identität und anlässlich des 100. Jahrestages der Republik Türkei eine Anklage gegen die ideologische Repression von freier Liebe und freiem Leben.

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