Georg M. Oswald: Vorleben
In „Vorleben“ leuchtet Georg M. Oswald die Selbstzweifel, die Eifersucht und die Unsicherheit seiner Protagonistin in schnörkelloser Sprache aus.
Sophia zieht nach einer längeren Flaute als freischaffende Journalistin einen neuen Auftrag an Land: Sie soll das Staatliche Symphonieorchester München begleiten, um ein neues Programmheft zu schreiben. Dabei trifft sie auf den Star-Cellisten Daniel, und aus ihrer Affäre wird bald schon eine enge Liebesbeziehung. Sie zieht bei ihm ein und beginnt auf sein Bestärken hin, an einem Roman zu arbeiten. Doch fühlt Sophia sich neben dem Wunderkind Daniel ungenügend und kann seine scheinbar bedingungslose Liebe und sein Vertrauen in ihre Fähigkeiten als Schriftstellerin nicht annehmen. Als sie in seinem Arbeitszimmer ein altes Polaroid findet, auf dem er mit einer anderen Frau zu sehen ist, ist sie zuerst bloß eifersüchtig – doch das Gefühl, sie habe die Frau schon einmal zuvor gesehen, lässt sie nicht los …
„Vorleben“ ist eine beklemmend lebhafte Charakterstudie
Georg M. Oswald leuchtet Sophias Selbstzweifel, Eifersucht und Unsicherheit in schnörkelloser Sprache aus. So entsteht eine fokussierte, beklemmend lebhafte Charakterstudie, die umso eindringlicher wird, je mehr sie in Daniels „Vorleben“ wühlt. Doch wenn dieses Prinzip auf die Handlungsebene übertragen wird und Georg M. Oswald Daniels gesamtes Leben in einem Monolog darlegt, ohne dass Platz dafür eingeräumt wird, Sophias Reaktion darauf auch nur ansatzweise so gründlich auszuforschen wie alles Vorangegangene, fragt man sich durchaus, wozu man „Vorleben“ eigentlich gelesen hat. jl
Georg M. Oswald Vorleben
Piper, 2020, 224 S., 22 Euro