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Gerhard Henschel: Künstlerroman

Als Gerhard Henschel vor elf Jahren mit dem Mammutprojekt begann, sein eigenes Leben in Romanform zu verewigen, war er vor allem als Satiriker und Polemiker bekannt. Gut: Der Roman „Die Liebenden“ war bereits veröffentlicht, ein Denkmal für die Eltern und Großeltern und gleichzeitig ein Sittengemälde von der Weimarer Republik fast bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Aber das waren deren eigene Briefe, die Gerhard Henschel „lediglich“ redigierend bearbeitet und herausgegeben hatte. Mit seinen Martin-Schlosser-Romanen betrat der Autor damals Neuland. Jetzt legt der 1962 Geborene schon den sechsten Band vor und kommt mit „Künstlerroman“ an die Stelle seines Lebens Mitte der 1980er, an der sein alter ego entscheidet: Ich will Schriftsteller werden. Entscheidet es, schmeißt kurz vor dem Examen sein Germanistikstudium, zieht mit zwei angesparten Monatsgehältern vom Studentenjob bei Tetra Pack von Berlin nach Oldenburg und beginnt zu schreiben. Sagen wir es rundheraus: Viel schreibt der Held zwischen 1985 und 1988 nicht. Bis zum Ende des Romans veröffentlicht Martin zwei Artikel bei einem Oldenburger Stadtmagazin, das Satiremagazin Titanic, dem er ein Manuskript geschickt hat, antwortet nicht. Da Henschel aber kein Kind von Traurigkeit ist, verfällt auch sein Held Martin nicht in tiefe Depressionen. Wer die früheren Schlosser-Romane kennt, weiß, Martin hätte längst Grund für Depressionen gehabt: Meppen, seine öde Heimatstadt, und Bielefeld, sein trostloser erster Studienort, wurden entsprechend gewürdigt. Aber nein, im Gegenteil: Von „Kindheitsroman“ an verlieh Henschel seiner Schreibe eine subtile Komik. Sein Held, wiewohl er von Roman zu Roman nicht nur als Person, sondern auch sprachlich reifen durfte, bleibt durchgehend ein auf sympathische Weise naiver Mensch. Im aktuellen Roman geht er auf den Wunsch seiner neuen Freundin Andrea ein, eine offene Beziehung zu führen. Doch die Sache gestaltet sich asymetrisch: Während Andrea ständig von ihren Tariks und Ergüns erzählt, mit denen sie was anfängt, und Martin damit ganz kirre macht, kriegt dieser in Berlin die Frauen einfach nicht ins Bett. Henschels literarische Herkunft von der Satire und der Komik sorgt dafür, dass solche im typischen 80er-Jahre-Sound verhandelten Themen auf verhaltene Weise extrem komisch sind. Ähnlich verhalten geht er an ernste Situationen ran: Die Krebserkrankung seiner Mutter und die kaputte Ehe seiner Eltern werden nahezu beiläufig und gerade damit zart erzählt. Henschel, früher gern der Mann fürs Grobe, ein Polemiker aus Leidenschaft, zeigt in den Romanen seine sensible Seite. Wo er die Idee herhatte, ganz ohne dramaturgische Effekte zu schreiben, sondern in strengem Stil einer Chronik, weiß man seit „Bildungsroman“: Martin geht ab 1984 regelmäßig in Schreibseminare des Schriftstellers Walter Kempowksi, Autor der Romanreihe „Deutsche Chronik“.

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