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„Real Deal“ von Honeyglaze: Sieg nach Punkten

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(Foto: Kalpesh Lathigra)

Das Londoner Trio zieht sein zweites Album als Boxkampf auf. Aber wofür oder wogegen kämpft es?

Wenn eine Band ihr zweites Album „Real Deal“ nennt, ist schon klar, in welche Richtung die Reise geht. Honeyglaze haben keine Zeit, sich mit Sorgen um das „verflixte zweite Album“, den „sophomore slump“ abzugeben. Vielmehr geht es für das Londoner Trio erst jetzt so richtig los. Auch Cover und Pressefotos, um die Ästhetik eines Boxkampfs konzipiert, betonen den neuen Kampfgeist der Band. Doch wofür – oder wogegen – kämpfen Honeyglaze?

Über das vor zwei Jahren erschienene Debütalbum haben wir in unserer Rezension geschrieben: „,Honeyglaze‘ ist der Sound einer Band, die sich noch ausprobiert.“ Das war auch der Band selbst klar, die schon während der Tourneephase zum Erstling wusste, dass sie sich bereits weiterentwickelt hatte. „Musikalisch haben wir auf das erste Album reagiert und uns gefragt: ,Was können wir besser machen?‘“, sagt Frontfrau Anouska Sokolow selbst. Und das hat sich ausgezahlt: Wo „Honeyglaze“ stellenweise so klang wie die Singer/Songwriter-Platte der Sängerin und Gitarristin, eher nebenbei mit Begleitmusikern hinterlegt, sind alle Elemente auf „Real Deal“ durchdachter und raffinierter.

Honeyglaze: Mehr Band als zuvor

So sind die Drums von Yuri Shibuichi und Tim Curtis’ Bass tighter, das Zwischenspiel mit Sokolows Gitarre komplexer als zuvor – stellenweise klingt der mit Postpunk eingefärbte Indie der Band in seiner Präzision sogar nach Mathrock. Dass die Energie trotzdem hoch bleibt, hängt auch damit zusammen, dass sie alles live eingespielt hat. „Don’t“ beginnt mit einem an HipHop gemahnenden Drumriff – nicht von ungefähr, war eine der Inspirationen für den Song doch „Bills Bills Bills“ von Destiny’s Child. Nicht nur musikalisch, auch textlich ist es der bisher wohl wütendste Honeyglaze-Song, auf dem Sokolow allen toxischen Männern ihren Zorn entgegenschleudert: „I’m a person too you know/I’ve got things to say/I’ve got fucking feelings“.

Es ist eine klare Ansage. Überhaupt stehen Sokolows Gesang und Texte bei aller Weiterentwicklung noch im klar im Zentrum des Honeyglaze-Sounds. So explizit wie in „Don’t“ wird die Sängerin nicht immer, oft erzählt sie Geschichten, die nicht unbedingt autobiografisch sein müssen. „Cold Caller“ etwa spielt mit der Idee einer Person, die so einsam ist, dass sie sich sogar über einen Werbeanruf freut. „Pretty Girls“ wiederum fängt die Nervosität und Entfremdung auf einer Party ein. Thema ist dabei immer wieder die Balance zwischen dem Wunsch, in Fiktionen und Rollen zu verschwinden („Movies“), und dem Verlangen nach Echtheit auf der anderen Seite („Real Deal“, „TV“).

Der Kampf um die eigene Identität

Doch Honeyglaze expandieren nicht nur in die eine Richtung. Neben ihrem wütendsten Song findet sich auf „Real Deal“ auch ihre bisher poppigste Ballade: „Ghost“ ist so breitwandig und eingängig, es fehlen nur noch ein paar Streicher, und die Oasis-Assoziation wäre nicht weit. Damit ist klar: Honeyglaze haben sich weiterentwickelt, doch sie sind noch nicht am Ende ihrer Reise angekommen. Aber wo diese stilistische Vielseitigkeit auf dem Debüt noch unausgegoren klingen konnte, ist sie hier eine bewusste Entscheidung, die sich auch thematisch niederschlägt. Letztlich kämpfen Honeyglaze auf „Real Deal“ wie wir alle vor allem um die eigene Identität – und wie bei uns allen ist es kein Kampf, der bald abgeschlossen sein wird.

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