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„Ich habe keinen Bock mehr, meine Fresse zu halten!“

Cover

Karen Köhler im Interview zu ihrem Debütroman „Miroloi“, der die alten Männer vom Feuilleton empört.

Karen, nach den gefeierten Erzählungen von „Wir haben Raketen geangelt“ war jetzt der Debütroman bestimmt noch mal eine krasse Herausforderung, oder?

Karen Köhler: Das braucht schon noch mal eine andere Kraft. Jetzt hatte ich einen großen Figurenstab, den ich irgendwie am Laufen halten und füttern musste. Ich hatte nicht nur Knochen, sondern auch Fleisch und Sehnen und Blutgefäße an den Knochen. Deswegen habe ich mit Tricks gearbeitet: Ich habe die Namen aller Beteiligten an die Wand geheftet und mir veranschaulicht, wie sie zueinander stehen. Ich habe angefangen, sie zu malen. Ich habe mit Karteikarten gearbeitet, und ich habe mir sogar so kleine Knetmännchen gemacht, weil ich wissen wollte, wie das eigentlich aussieht, wenn sich ein ganzes Dorf versammelt und die alle auf einem Haufen stehen.

Indem du in „Miroloi“ von einer archaischen Gesellschaft auf einer Mittelmeerinsel erzählst, in der die Frauen nicht lesen dürfen, und als Hauptfigur die junge Außenseiterin Alina wählst, sprichst du sehr viele Inhalte an: Es geht um das Thema Feminismus und Solidarität von Frauen untereinander, es geht um Kapitalismus und Religion, und im Angesicht des Klimawandels begegnen wir einer sehr einfachen Daseinsform, die ein radikaler Gegensatz zu unserer urbanen, sehr verschwenderischen Lebensweise ist.

Köhler: Stimmt, wobei das zentrale Thema für mich die Selbstermächtigung durch Bildung ist. Ich kann kaum fassen, wie viel Chancenungleichheit noch immer innerhalb unserer Gesellschaft besteht. Das fängt ja schon bei der Erziehung der Kinder an, auch da erleben wir eine Rückentwicklung. Spielzeuge werden gegendert, und die Rolle der Mädchen wird durch die Spielzeuge auch ganz klar definiert. Es gibt Spielzeuge, da steht „Clean the Toilet“ und dann müssen Mädchen mit rosa Putztüchern eine Toilette saubermachen.

Schon deine Erzählungen haben sehr starke Haltungen transportiert, aber der Roman ist noch wütender und radikaler.

Köhler: Als dieses Foto vom Bundesministerium für Heimat veröffentlicht wurde, auf dem die ganzen Männer in einer Reihe stehen, dachte ich zuerst, das wäre eine Postillion-Meldung. Nahles hat neulich in einem Interview auch darauf hingewiesen, dass jetzt nur noch 30 Prozent der Abgeordneten im Bundestag Frauen sind. Es waren schon mal 36 Prozent. Wir brauchen kluge, wortgewandte und starke Frauen, um diese Rückentwicklung aufzuhalten und wieder umzukehren in eine Bewegung, die fortschrittlicher ist. Ganz generell habe ich keinen Bock mehr, bei den Themen Sexismus, Rassismus und Faschismus meine Fresse zu halten. Die Freiheit, die wir alle so schätzen, ist sehr leicht kaputt gemacht.

Obwohl du eine Art Planspiel entworfen hast, baut man eine sehr emotionale Verbindung zu deinen Figuren auf.

Köhler: Da hat mir meine Ausbildung für den Schauspielberuf geholfen, in dem ich ja immerhin zwölf Jahre am Theater gearbeitet habe. Ich habe gelernt, den Text als etwas zu verstehen, das wie ein Mantel über einer Figur liegt. In die Figur kann ich reinschlüpfen, Empfindungen haben und die dann auch mit einer Wippe wieder nach außen transportieren. Durch diese Erfahrungen weiß ich, wie viel Beschreibung eine Figur braucht und wie viel Gegengewicht nötig ist, damit sie nicht zu eindimensional geschildert wird.

Wie sehr wurde „Miroloi“ denn auch durch deine Erfahrungen mit dem Literaturbetrieb inspiriert?

Köhler: Vor drei Jahren habe ich Studierenden aus Hildesheim ein schriftliches Interview zum Thema „Écriture fémine“ gegeben, und dafür habe ich mich vor mein Bücherregal gestellt und alle Bücher von Frauen rausgezogen. Es waren erschreckend wenige! Mich hat das dann so gewurmt, das ich mir vorgenommen habe, ein Jahr lang nur noch Bücher von Frauen zu kaufen – und mittlerweile sind daraus bereits drei Jahre geworden. Wenn irgendwann mal ein Gleichgewicht da sein sollte, gebe ich auch gern wieder Geld für Männer aus, aber derzeit ist es eine ganz bewusste Entscheidung, um mich nicht nur an einem von Männern dominierten Gedankenraum zu orientieren. Natürlich lese ich auch Männer, aber die leihe ich mir dann. Und ein einziges Mal habe ich auch mit meiner Regel gebrochen, weil ich nicht warten wollte, bis mir jemand „Herkunft“ von Saša Stanišić leiht.

Interview: Carsten Schrader

 

 

Karen Köhler Miroloi

Hanser, 2019, 464 S., 24 Euro

Bei Amazon bestellen

 

LESUNGEN

7. + 16. + 19. 9. Hamburg

25. 9. München

26. 9. Dresden

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11. 10. Berlin

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28. 10. Frankfurt

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30. 10. Stuttgart

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