Ingmar Stadelmann: „Björn Höckes Sprache ist wie eine Verschlüsselung“

„Stadelmann liest Höcke“ ist der satirischer Diskurs eines Comedians gegen die AfD. kulturnews sprach mit dem Satiriker und Comedian Ingmar Stadelmann.
Herr Stadelmann, als ich Sie vor sieben Jahren das letzte Mal interviewte, sprachen wir über Ihre Jungendsünden: Ihre Panzerschleichfahrten mit einem Renault Twingo in der Nähe eines Kaffs namens Tylsen. Was hat sich geändert, dass wir in diesem Interview nun über rechtsradikale Politiker sprechen, genauer: über Björn Höcke?
Ingmar Stadelmann: Na ja, es gab eine Politisierung im Land und damit auch auf den Bühnen. Es geht wieder um was, und dem trage ich Rechnung.
Wie kamen Sie ganz konkret auf die Idee, Björn Höckes Reden, Texte und Interviews in einem Bühnenprogramm zu lesen und zu sezieren?
Stadelmann: Die ursprüngliche Idee ist entstanden, als Landtagswahlkampf in Thüringen war.
Das war letztes Jahr.
Stadelmann: Genau. Da gab es ein Duell zwischen dem CDU-Mann und jetzigen Ministerpräsidenten Mario Voigt und Björn Höcke, das lief bei Welt TV, wo man normalerweise sagen würde: Das ist Regionalpolitik, dafür interessieren sich nicht viele Menschen. Die haben aber eine Rekordquote damit gemacht! Und mein Gefühl war: Das lag jetzt nicht an Mario Voigt. Da habe ich mir dann Gedanken gemacht, warum das so ist. Und ich vermute, es liegt daran, dass den Leuten überall gesagt wird: Der ist gefährlich, der ist Faschist.
Und?
Stadelmann: Dann guckt man sich das an und fragt sich: Erkenne ich den Faschisten? Empfinde ich den auch als gefährlich, oder wirkt er eher wie ein etwas angestaubter Vertrauenslehrer? Wenn ich aber den Faschisten bei einem Interview bei Welt TV nicht erkenne, erschrecke ich dann über mich selbst und sage: O Gott! Ich erkenne ich die Gefahr gar nicht? Oder denke ich eher: Na, da haben mir die Medien aber wieder Geschichten erzählt! Ich befürchte, die Reaktion bei vielen ist die zweite. In dem Moment bin ich auf den Dreh gekommen, dass man die Dinge mit den Waffen der Satire klarer herausarbeiten muss und in die Inhalte gucken, die Herr Höcke so produziert. Klar ist der in Satireshows schon verarscht worden, aber wenn die stärkste Pointe „Bernd“ hieß …
Sie meinen also, dass die Gefahr durchaus besteht, dass man den Fascho nicht zwangsläufig erkennt? Dass Höcke eher ein Wolf im Schafspelz ist?
Stadelmann: Auf alle Fälle ist er niemand, der durch krasse Vulgarität auffällt. Höcke weiß sich zu artikulieren, er wirkt in den oft (muss lachen) etwas engen Anzügen durchaus seriös. Und oft trifft er einen Ton und nutzt eine Wortwahl, die mehr eine alte deutsche romantische Sprache bedient, wo der Mensch, der aktuell damit konfrontiert wird, vielleicht gar nicht so richtig die Bedeutung des Gesagten für sich erkunden kann. Aber es gibt einen Grund, warum er diese Sprache benutzt: Sie wirkt wie eine Verschlüsselung von dem, was dahinter liegt. Und genau da werde ich in meiner Show ansetzen.
Ist genau das der Grund dafür, dass sie nicht Tino Chrupalla oder Alice Weidel ins Zentrum rücken?
Stadelmann: (lacht) Ich halte Chrupalla genau wie Weidel für Feigenblätter. Sie werden nach vorne geschoben, weil sie eine mediale Funktion erfüllen. Da haben wir einmal die wirtschaftsliberale lesbische Frau, die wunderbar funktioniert, und auf der anderen Seite den Handwerker oder, wie ich ihn nenne, den braunen Maler aus Sachsen, der in seiner Einfachheit ebenfalls verharmlosend wirkt. Wenn man sich ein bisschen mit den Strukturen in der AfD beschäftigt – das musste ich jetzt ja tun –, dann ist die Erzählung nach außen immer so, dass Höcke wie eine Art Palmer von den Grünen oder Sarrazin bei der SPD ist, ein Außenseiter, ein Radikaler, der immer dabei ist, aber keine Bedeutung hat. Dann stellt man aber fest, dass Höcke drei Parteivorsitzende überstanden und eine Landtagswahl mit 30 Prozent gewonnen hat. Das Bild kann also so nicht stimmen, und wenn man sich damit beschäftigt, beschäftigt man sich mit dem Kern der Partei.
Interessant ist ja auch, dass Höcke wegen seiner SA-Losung schon mehrfach zu einer recht hohen Geldstrafe verurteilt wurde und gleichzeitig in aktuellen Umfragen in Thüringen inzwischen mit der AfD bei 35 Prozent liegt. Das scheint anzukommen. Wie kann man die AfD vor diesem Hintergrund politisch bekämpfen, wenn man es nicht juristisch machen möchte?
Stadelmann: Da muss man sich in der Tat erst mal die Frage stellen, warum das funktioniert, warum so jemand punktet. Und der Punkt ist ganz einfach, dass ganz bestimmte Ängste angespielt werden, die in der Gesellschaft vorhanden sind. Und dann ist da noch die Enttäuschung über die etablierten Parteien. Die AfD ist der politische Stinkefinger, den man ziehen kann, man hat mit ihre eine Win-Win-Situation. Jetzt kann man darauf reagieren wie der Gouverneur von Kalifornien, indem man die populistische Art der Kommunikation spiegelt, das scheint ja auch ein Weg zu sein.
Und der seriösere Weg?
Stadelmann: Das Hauptproblem ist halt, dass die Methode des linken Spektrums „They go low, we go high“ nicht funktioniert hat. Und man sieht ja, dass die Methode der Linken – ganz egal, wie man politisch dazu steht – bei den Wählern zu funktionieren scheint. Wenn da auf einmal Heidi Reichinekk um die Ecke kommt und das Tiktok-spiel beherrscht, sind junge Wähler auf einmal wieder dazu bereit, sich mit linker Politik zu beschäftigen. Die etablierten Parteien haben da relativ viel verschlafen.
Gleichzeitig werden die Gerichte aktiv, …
Stadelmann: Ja!
… wenn man jetzt nur mal die Entscheidung über den extremistischen Verdachtsfall nimmt. Wenn man sieht, dass die AfD eine neue Jugendorganisation gründen will, weil die alte nachweislich rechtsextremistisch agierte.
Stadelmann: Man muss natürlich auch die Mittel des Rechsstaates bequemen. Aber das Thema an sich verschwindet davon nicht. Man muss sich bewusst machen, dass die AfD im Osten identitätsstiftend ist, das ist ja das Gruselige daran. Die Regionen, die jetzt Spitzenwerte für die AfD haben, waren vor 20, 30 Jahren alles linke Hochburgen! Jetzt kann man sagen: Da wurde linke Wähler zu rechten Wählern, aber das kann es ja glaub ich irgendwie nicht sein! Die Erklärung muss also woanders liegen.
Wie gehen Sie das in der Show an?
Stadelmann: Mir geht es nicht darum, dass wir an einem einzelnen Abend das komplette politische System auseinandernehmen und die Problematik lösen. Sondern dass man versteht, dass das nicht die Antwort sein kann. Aber ich will erreichen, dass jemand nach der Show sagen kann: Ich war bei Stadelmann. Wusstest du eigentlich, dass …?
Hatten Sie ein Vorbild für die Show?
Stadelmann: (lacht) Das ist natürlich immer die Parallele, die hervorgezogen wird: Serdar Somuncu liest aus „Mein Kampf“.
Ich habe keine Namen genannt!
Stadelmann: In dem Bild bin ich dann Serdar, und Höcke ist automatisch Hitler. Das ist eine schöne Gleichsetzung, und tatsächlich habe ich mir Somuncu-Lesungen auch angehört und habe dann gedacht: Man bräuchte eigentlich so etwas im Hier und Jetzt, aber nicht mit Hitler, denn das Thema ist auserzählt. Der Vorteil für Serdar war, dass Hitler schon tot war, aber Höcke redet noch.
Bei mir reichen schon einzelne Zitate von Höcke, um Ausschlag zu kriegen. Wie werden Sie den Abend gestalten …,
(Stadelmann kichert im Hintergrund)
… dass die Leute nicht davonlaufen?
Stadelmann: Die Absurdität des Höcke’schen Buches, aus dem ich hauptsächlich lesen werde, ist schon bemerkenswert. Das ist ja ein schon fünf Jahre altes Werk, dieses Interviewbuch, das er gemacht hat. Dass das nicht ausgereicht hat, um sich tiefer mit Höcke auseinanderzusetzen, finde ich schon bemerkenswert, weil es von Seite zu Seite genug bietet, um zu denken: Wo kommt dieser Gedankengang jetzt her? Was erzählt er uns dann da für ne romantisierte Geschichte? Warum wollte er bei der Bundeswehr so gerne Stahlhelm tragen? Man ist zunächst immer geneigt zu lachen, wenn man das liest. In der Gesamtheit ergibt sich aber schon eine gefährliche ideologische Ausrichtung.
Wie gehen Sie vor?
Stadelmann: Ich lese ja nicht immer vor, sondern es sind nur Ausschnitte, die ich dann kommentiere. Und es kommen auch noch einige andere Texte dazu, die das alles ein bisschen besser einordnen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Stadelmann: Ich habe einen Text über Jörg Haider entdeckt. Da geht es darum, dass Haider mit deutschen Politikern in eine Talkshow eingeladen werden sollte. Die haben aber alle abgesagt, weshalb Haider nicht kommen konnte. Aus heutiger Sicht ist das geradezu absurd. Heute ist es entweder egal, oder so weit verschoben, dass es ok ist, wenn jemand mit rechtspopulistischen Thesen bei Maischberger sitzt und mitdiskutiert.
Lassen Sie uns mal über Parteien reden, die mitverantwortlich sind für die Entwicklung der letzten Jahre. Sie haben im Netz CDU-Politiker mit Nokia-Managern im Jahr 2007 verglichen. Was macht die CDU aus ihrer Sicht so falsch, dass Sie in diesen brutalenVergleich bringen?
Stadelmann: Da muss man ja auch sehr unterscheiden. Teile der CDU vertreten eine moderne Form des Konservatismus, die funktioniert. In Schleswig-Holstein hatte sie zuletzt mehr als 40 Prozent, und in NRW über 35 Prozent. Und dort steht sie nicht deshalb so gut da, weil sie etwa populistisch oder rechtslastig auftritt, sondern weil sie als seriöse konservative Kraft wahrgenommen wird. Der Fehler, den die CDU macht – so weit ich das einschätzen kann, ich bin kein Politologe –, ist, dass man sich von dem medialen Lärm übertönen lässt, was die Faktenlage, die Statistiken, die Zahlen auch sagen. Dass man den gleichen Fehler macht wie viele andere politische Kräfte in Europa: Die haben die Thesen der Rechtspopulisten einfach übernommen und in ihr Programm eingepflegt. Die dachte, das würde schon dafür sorgen, dass man die wieder kleinkriegt, aber das Gegenteil war der Fall. Das hat nirgends funktioniert, sondern nur dafür gesorgt, dass zahlreiche konservative Parteien einfach atomisiert wurden. Die sind einfach weg! Wenn die CDU das nicht checkt, droht ihr das gleiche Schicksal.
Die SPD hat ebenfalls gelitten, ein großer Teil der Arbeiterklasse wählt jetzt AfD. Schafft sie es auch in die Show?
Stadelmann: Ich kann mal aus dem Programm spoilern. Die Show fängt ja mit dem „falschen“ Buch an: Mit „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin. Denn das ist, wenn wir über die ganze völkische Ideologie reden, die Höcke verbreitet und auf der sein ganzes Weltbild basiert: dass jemand, der seit drei Generationen hier lebt, mehr Rechte haben muss als jemand, der gerade erst seinen deutschen Pass bekommen hat; das hat nicht Höcke in den Mainstream befördert, das war jemand von der SPD, das war Thilo Sarrazin. Der hat das Mainstreambuch geschrieben, das sich millionenfach verkaufte. Und die Schutzfunktion war immer die gleiche: Das kann ja gar kein Nazi sein, der ist ja in der SPD. So sind diese Thesen auf Menschen getroffen, die sich in den letzten 60, 70 Jahren nicht damit beschäftigt hatten, weil klar war, woher das kommt. Weil man wusste, das endet nicht gut. Jetzt aber sind diese Thesen alle wieder im Mainstream angekommen und finden Anschluss. CDU und SPD machen den gleichen Fehler: Alle extremen Positionen, die anschlussfähig sind, kommen aus der Mitte, die kommen nicht von außen. Die SPD trägt dafür wie die CDU Verantwortung.
Herr Stadelmann: Predigen Sie mit diesem Programm nicht zu den Überzeugten?
Stadelmann: Das frage ich mich sehr! Ich erwarte nicht, dass irgendein Ronny aus Brandenburg sagt: Endlich liest mir mal den Höcke vor, ich verstehe das sonst nicht. Davon gehe ich nicht aus, und natürlich ist das Publikum meistens ein liberales, wenn nicht gar linkes. Diese Leute wissen alles, was Faschismus ist, aber mir geht es auch gar nicht darum, in irgendeiner Form zu bekehren. Ich möchte eine Analyse liefern, die amüsant ist und gleichzeitig denen, die ein Gefühl haben, dass etwas falsch läuft, Argumente liefern. Damit die dann sagen können: Pass mal auf, die moralische Keule mal beiseite, inhaltlich gibt es folgendes Problem. Auch ich agiere in der Show nicht durchgehend als moralische Instanz – das mache ich auf der Bühne ja generell nicht. Aber ich will den Menschen argumentativ den Koffer packen.
Interview: Jürgen Wittner