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Jack White: Der Vintage-Visionär

Jack White steht vor einem American Diner
(Foto: Paige Sara )

Nicht nur, dass Jack White in diesem Jahr bereits sein zweites Soloalbum veröffentlicht. Es drängt sich die Frage auf: Ist dieser Mann der Elon Musk des Rock’n’Roll?

Es wächst und gedeiht prächtig, dieses interdisziplinäre Analog-Imperium des Jack White. Gerade erst im vergangenen Jahr hat der bald 47-Jährige unweit der Carnaby Street in London den dritten Third-Man-Records-Laden eröffnet – nach seinem Geburtsort Detroit und seiner Wahlheimat Nashville den ersten außerhalb der USA. Und, anekdotisch evident an einem stinknormalen Donnerstag recherchiert: Das kleine, ganz in Gelb gestrichene Geschäft, in dem White neben seinen Soloalben, Vinylplatten seiner Bandprojekte und seines Labels, das ebenfalls Third Man Records heißt, auch allerlei Merchandise-Artikel sowie Krimskrams verkauft und ausgesuchte Kellerclubkonzerte veranstaltet – es läuft. Vier Männerjungs mittleren Alters stehen an der Kasse an, zwei haben den Arm voll mit Vinyl, einer kauft ein Shirt, der vierte bloß einen Radiergummi.

Jack White besitzt bis heute kein Handy und verbannt die Geräte aus seinen Konzerten.

Doch Jack White hat seine Finger längst in der gesamten Wertschöpfungskette des Rock’n’Roll. In Detroit betreibt er ein Vinylpresswerk mit einer Kapazität von 5 000 Platten pro Tag, und ohne dem Künstler und Geschäftsmann zu nahe treten zu wollen, darf man wohl festhalten, dass White wunderbar an der Renaissance des Vinyl-Formats – allein 2021 gab es in den USA ein Umsatzplus von 61 Prozent – verdient. „Ich liebe das Haptische“, sagte er kürzlich dem amerikanischen Magazin The Atlantic. „Alles, was ich mit meinen Sinnen aufsaugen kann, erfüllt mich mit Wohlgefühl.“ Jack White, die einen nennen ihn konsequent, die anderen kauzig, besitzt bis heute kein Handy und verbannt die Geräte auch aus seinen Konzerten. Dem Musikstreaming jedoch kann der Vater von zwei Teenagern aus der Beziehung mit Model Karen Elson durchaus etwas abgewinnen. Spotify und Co. machten es leicht, neue Künstler:innen zu entdecken, er selbst sei durch Streaming etwa auf die junge Olivia Rodrigo gestoßen, die witzigerweise selbst ein großer White-Stripes-Fan ist.

Seit 2012 veröffentlicht Jack White nun schon Soloalben in durchweg bester Qualität.

Die White Stripes, jenes geniale Garagenrockduo, das er mit seiner Längst-Exfrau Meg White betrieben und das den Jahrhundertrockhit „Seven Nation Army“ zu verantworten hat, sind auch der Grundstein des White-Unternehmens gewesen. 2011 haben sie sich getrennt, Jack hatte zuvor schon mit den Raconteurs und The Dead Weather zwei coole weitere Projekte gestartet, und seit „Blunderbuss“ aus dem Jahr 2012 nimmt er zudem immer wieder Soloalben in durchweg bester Qualität auf. So ist Jack White nicht nur Beschützter und Kurator des Rock’n’Roll, sondern auch ein Visionär und Weiterentwickler des – aus seiner Sicht – quicklebendigen Genres.

Ein echter Nimmermüder ist er noch dazu: Die Pandemie hat Jack zum Schreiben von 35 Songs genutzt, die – von ihm selbst ungeplant – teils rabiat laut geraten sind, teils näher beim Folk und der Eindringlichkeit eines Johnny Cash liegen. Die raubeinigen Stücke waren schon im April auf dem Album „Fear of the Dawn“, die sanften Stücke folgen Mitte Juli auf „Entering Heaven alive“. Im Video zur ersten Single „If I die tomorrow“ zieht White, mit Cowboyhut an seine Rolle im Film „Unterwegs nach Cold Mountain“ (2003) erinnernd, seinen eigenen Sarg hinter sich her. Der Song ist morbide, surreal – und ziemlich brillant.

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