Jahresrückblick 2019: Das sind die 15 besten Bücher
Das Literaturjahr 2019 hat wieder einiges hervorgebracht. Wir haben die besten Bücher des Jahres in unserem Rückblick für euch zusammengefasst.
Kommt am Buchpreisgewinner Sasa Stanisic wirklich niemand vorbei? Ist der Hype um Sally Rooney gerechtfertigt? Und wie schlagen sich Newcomer à la Miku Sophie Kühmel und Ocean Vuong? Wir haben die besten Bücher in unserem Jahresrückblick zusammengestellt.
Jahresrückblick 2019: Die besten Bücher Plätze 15-6
15. Joshua Cohen: Auftrag für Moving Kings
Den Start in unseren Jahresrückblick macht Joshua Cohen. Mit dem 750 Seiten starken „Buch der Zahlen“ ist er dem Schlüsselroman des Internetzeitalters verdammt nahe gekommen, doch jetzt macht der 38-jährige US-Autor eine radikale Kehrtwende: „Auftrag für Moving Kings“ ist eine stringent erzählte Satire, die nicht nur Israel, sondern auch die gegenwärtige politische Situation in den USA ins Visier nimmt.
Schöffling, 2019, 288 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Ingo Herzke
14. Édouard Louis: Wer hat meinen Vater umgebracht
Der 26-jährige Star der französischen Literatur legt mit diesem Grenzgang zwischen innerem Monolog und offenem Brief sowohl eine Liebeserklärung an seinen Vater als auch eine wütende politische Anklage vor. „Nicolas Sarkozy und Martin Hirsch haben dir das Rückgrat gebrochen“, schreibt Édouard Louis („Das Ende von Eddy“, „Im Herzen der Gewalt“) etwa, da der Vater nach deren Sozialreform aus dem Jahr 2009 gezwungen war, trotz bescheinigter Arbeitsunfähigkeit einen Job als Müllsammler anzunehmen. „Wer hat meinen Vater umgebracht“ ist ein literarischer Notruf – und zwar ein unter den aktuellen Umständen ganz wichtiger.
S. Fischer, 80 S., 16 Euro
Aus d. Franz. v. Hinrich Schmidt-Henkel
13. Alan Hollinghurst: Die Sparsholt-Affäre
Er gilt als der Meister expliziter Sexszenen, doch mit seinem neuen, fast ein Jahrhundert umfassenden Roman beweist der 2004 für „Die Schönheitslinie“ mit dem Man Booker Prize ausgezeichnete Alan Hollinghurst, dass er schwulen Sex in allen Nuancierungen darzustellen vermag. Hollinghurst fängt so nicht nur die gesellschaftlichen Veränderungen ein, sondern zeichnet in „Die Sparsholt-Affäre“ mit viel Zärtlichkeit auch ein tiefenscharfes Psychogramm seines vornehmlich aus Künstlern und Literaten bestehenden Figurenensembles.
Blessing, 2019, 544 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Thomas Stegers
12. Colson Whitehead: Die Nickel Boys
Nachdem er mit „Underground Railroad“ im Jahr 2016 den Pulitzer Prize gewonnen hatte, wollte Colson Whitehead eigentlich einen leichteren Roman schreiben – doch dann wurde auf dem Gelände einer Besserungsanstalt für schwer erziehbare Jugendliche in Florida ein geheimer Friedhof mit mehr als 50 anonymen Gräbern entdeckt. Der 49-jährige US-Autor fiktionalisiert diese Ereignisse in „Die Nickel Boys“ und benötigt nur gut 200 Seiten, um die schrecklichen Ereignisse fühlbar zu machen. Sein vor realistischer Kraft strotzender Roman brilliert mit einer authentischen Figurenzeichnung und virtuos verdichteter Sprache, die es nicht nötig hat, das benannte Grauen effekthascherisch auszuweiden. Colson Whitehead darf daher auch in unserem Jahresrückblick natürlich nicht fehlen.
Hanser, 2019, 224 S., 23 Euro
Aus d. Engl. v. Henning Ahrens
11. André Aciman: Fünf Lieben lang
Nach „Call me by your Name“ hat André Aciman einen neuen Roman geschrieben, und auch wenn das Buch in der deutschen Übersetzung den Titel „Fünf Lieben lang“ trägt, geht es darin nicht um die Liebe. „Ich spreche selten über Liebe, sondern meist über Verlangen oder meinetwegen das Verliebtsein“, sagt Aciman im Interview mit kulturnews. „Das Verlangen ist unmittelbarer und uneindeutig. Wenn ein Autor das Wort ,Liebe’ benutzt, macht er eine Tür zu, und alles ist gesagt. John liebt Mary: Wenn wir diesen Satz lesen, wissen wir genau, was vor sich geht – oder zumindest meinen wir, es zu wissen. Viel spannender ist es doch, wenn John es nicht schafft, mit Mary zu reden. Er begehrt sie, weiß aber auch gar nicht so genau, warum. Mich interessieren diese Ambivalenzen.“
dtv, 2019, 352 S., 22 Euro
Aus d. Engl. v. Christiane Buchner
10. Hanya Yanagihara: Das Volk der Bäume
Nach dem großen Erfolg von „Ein wenig Leben“ liegt nun endlich auch das Debüt von Hanya Yanagihara in deutscher Übersetzung vor – und es landet natürlich direkt in unserem Jahresrückblick in den Top 10. Mit „Das Volk der Bäume“ verhandelt sie sexuellen Missbrauch nicht aus der Opferperspektive, sondern aus der des Täters. Dafür avanciert sie zur Autorin eines grandiosen Abenteuerromans, die nicht nur eine Insel und einen Volksstamm erfindet und so den Dschungel lebendig werden lässt, sondern auch noch von einem ganz anderen Machtmissbrauch zu berichten weiß, wenn Erkenntnisdrang, Ruhmsucht und Profitgier eine ganze Lebenswelt gnadenlos ausradieren.
Hanser Berlin, 2019, 480 S., 25 Euro
Aus d. Engl. v. Stephan Kleiner
9. Sally Rooney: Gespräche mit Freunden
Frances und ihre Freundin Bobbi lernen das gut zehn Jahre ältere Ehepaar Melissa und Nick kennen. Believe the Hype: In diesem Jahr ist nun endlich die deutsche Übersetzung von Sally Rooneys Debüt „Gespräche mit Freunden“ aus dem Jahr 2017 erschienen – und tatsächlich gelingt der 28-jährigen Irin eine sehr feinfühlige, intelligente und tiefenscharfe Abbildung vom Lieben und Leben junger Menschen im frühen 21. Jahrhundert, wenn sie ihre Figuren über Sex und Freundschaft, Kunst und Literatur, Politik und Genderfragen schwadronieren lässt. Ein wohlverdienter Eintrag in unserem Jahresrückblick der besten Bücher 2019.
Luchterhand, 2019, 384 S., 20 Euro
Aus d. Engl. v. Zoe Beck
8. Gunther Geltinger: Benzin
Mit seinem neuen Roman „Benzin“ schickt Gunther Geltinger ein in der Krise steckendes schwules Paar auf Afrikareise und erzählt so sprachgewaltig wie derzeit kaum ein anderer deutschsprachiger Autor von Macht, Ohnmacht und Vorurteilen. Geltinger hat die Kapitel mit Schlagworten überschrieben und nach dem ABC geordnet. Er springt in der Chronologie, suggeriert mit seiner verschwenderischen und nicht zielgebundenen Sprache das unmittelbare Notieren von Eindrücken und Emotionen und durchsetzt seinen Text mit literarischen Verweisen. Platz 8 in unserem Jahresrückblick der besten Bücher.
Suhrkamp, 2019, 378 S., 24 Euro
7. Stefanie de Velasco: Ein Teil der Welt
Mit dem zweiten Roman verarbeitet „Tigermilch“-Autorin Stefanie de Velasco ihre Jugend bei den Zeugen Jehovas – doch ist „Kein Teil der Welt“ weit mehr als ein Enthüllungsbuch. „Wir lesen ja fast täglich in den Zeitungen von jungen muslimischen Mädchen aus sehr konservativen Familien, die nicht in den Schwimmunterricht dürfen. Aber auch bei den Zeugen Jehovas wächst man in extrem patriarchalen Strukturen auf“, sagt de Velasco im Interview mit kulturnews. „Es ist ein Männerverein, in dem die Frauen eigentlich gar keine Rechte haben. Bei den Zeugen Jehovas thematisiert die Mehrheitsgesellschaft nicht, dass die Kinder da auch in einer kompletten Parallelwelt aufwachsen – was ich rassistisch und ignorant finde.“
Kiepenheuer & Witsch, 2019, 432 S., 22 Euro
6. Marlon James: Schwarzer Leopard, roter Wolf
Für „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ wurde Marlon James mit dem Man Booker Prize ausgezeichnet. Jetzt startet der Jamaikaner mit dem bildgewaltigen, gut 800 Seiten starken Fantasyroman „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ eine Trilogie, mit der er aus einem Afrika vor unserer Zeit berichtet. Der erste Teil schafft es ganz selbstverständlich in unserem Jahresrückblick auf die oberen Plätze. Ein schwuler Held namens Sucher macht sich auf die Suche nach einem verschleppten Kind und bekommt es mit Trollen, Geistern, Nachtdämonen und vampirischen Blitzvögeln zu tun.
Heyne Hardcore, 2019, 832 S., 28 Euro
Aus d. Engl. v. Stephan Kleiner
Unsere Top 5 der besten Bücher
5. Miku Sophie Kühmel: Kintsugi
Sie hat den Literaturpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung sowie den aspekte-Literaturpreis bekommen und stand auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis: Kein Debüt hat in diesem Jahr so viele Preise gewonnen wie „Kintsugi“ von Miko Sophie Kühmel – und das geht auch vollkommen in Ordnung. Ihr Roman ist ein intelligentes Kammerspiel mit tiefenscharfer Figurenzeichnung, in dem vier sich sehr nahe stehende Figuren ein Wochenende in einem Ferienhaus in der Uckermark verbringen und mit Bruchstellen in ihrem Beziehungsgeflecht konfrontiert werden.
S. Fischer, 2019, 304 S., 21 Euro
4. Ocean Vuong: Auf Erden sind wir kurz grandios
Ganz eigentlich ist der Debütroman „Auf Erden sind wir kurz grandios“ ein Brief. Adressiert hat ihn der 1988 in Saigon geborene US-Autor Ocean Vuong an seine Mutter, an deren Seite er als Zweijähriger über ein Flüchtlingscamp auf den Philippinen in die USA gekommen ist. Wie schon in seinem gefeierten Gedichtband „Night Sky with Exit Wounds“ geht Vuong zwei Generationen zurück, um ein Selbstportrait zu zeichnen: Erinnerungen an rassistische wie homophobe Demütigungen und die Einsamkeit in der amerikanischen Provinz sind durchsetzt mit den Kriegserinnerungen seiner schizophrenen Großmutter. Hier geht ein gerade mal 30-jähriger, queerer Autor an die Grenzen der Sprache – und auf Platz 4 unseres Jahresrückblicks.
Hanser, 2019, 240 S., 22 Euro
Aus d. Engl. v. Anne-Kristin Mittag
3. Sasa Stanisic: Herkunft
Für „Herkunft“ hat er in diesem Jahr den Deutschen Buchpreis bekommen, und auch sein Twitteraccount hätte literarische Auszeichnungen verdient. Dafür landet Sasa Stanisic in unserem Jahresrückblick der besten Bücher auf Platz 3. So humorvoll Sasa Stanisic in diesem autobiografischen Text auch formuliert, offenbart er doch auch ganz und gar nicht lustige Ausgrenzungsmechanismen – und genau dieses Spannungsverhältnis macht seine oft wild fabulierenden, vor sprachlichen Feinheiten wimmelnden Erinnerungstexte zu einer immens klugen und extrem wichtigen Auseinandersetzung mit der so vorbelasteten, aber eigentlich ja willkürlichen Kategorie „Herkunft“.
Luchterhand, 2019, 360 S., 22 Euro
2. Hendrik Otremba: Kachelbads Erbe
Aus Filmen und Science-Fiction-Romanen kennt man Figuren, die von der Unsterblichkeit träumen und sich einfrieren lassen, um in einer anderen Zeit wieder aufgetaut zu werden. Hendrik Otremba benutzt die Kryonik in seinem zweiten Roman aber lediglich als Folie, um einen sorgenvollen Blick auf unsere Gegenwart zu werfen und die Lebensgeschichten ganz unterschiedlicher Figuren zu erzählen. Otremba springt in der Zeit und experimentiert mit Erzählinstanzen, er macht ein Phantom zur Hauptfigur des Romans und neben tiefenscharfer Zeitdiagnostik erzählt er auch noch mal eben die ergreifendste Liebesgeschichte des Literaturjahres.
Hoffmann und Campe, 2019, 432 S., 24 Euro
1. Juan S. Guse: Miami Punk
Der Atlantik hat sich über Nacht von der Küste Floridas zurückgezogen und eine Wüste hinterlassen. Während viele Industriezweige in Miami bankrott gehen, sich radikale Widerstandsgruppen bilden und ein spiritualistischer Underground floriert, reist eine sehr heterogene Gruppe deutscher Gamer für ein Turnier in die Stadt, und eine alternative Videospielprogrammiererin ist zwischen ihrer Kunst und dem Brotjob hin- und hergerissen. Wie hat es Juan S. Guse nur geschafft, einen so handlungssatten und komplexen Roman zu schreiben, der vor gegenwartsrelevanten Anknüpfungspunkten nur so wimmelt? Um eine Welt zu zeichnen, in der immer mehr sinnstiftende Strukturen und Bedeutungen wegbrechen, hat sich Guse an „Unendlicher Spaß“ von David Foster Wallace orientiert – und das große Vorbild mal eben so übertroffen. Für uns der unumstrittene Platz 1 in unserem Jahresrückblick der besten und wichtigsten Bücher des Literaturjahres 2019.
S. Fischer, 2019, 640 S., 26 Euro