Jonas Nay: „Der soll mal komplett loslassen!“
Auf Amazon Prime startet die finale Staffel der Serie „Deutschland 89“. kulturnews sprach mit Jonas Nay, der den Spion Martin Rauch spielt.
In der finalen Staffel „89“ der „Deutschland“-Serie geht es für den DDR-Spion Martin Rauch um die Existenz. Schauspieler Jonas Nay aber wollte in diesem Moment nur eins: Martins Kontrollverlust.
Herr Nay, die Geschichte des Agenten Kolibri ist mit der Staffel „Deutschland 89“ zu Ende erzählt. Was werden sie am meisten vermissen?
Jonas Nay: Neben der intensiven Arbeit mit allen Kreativen werde ich ganz besonders meine Rolle vermissen. Drei Staffeln, je ein halbes Jahr und 24/7 habe ich mit Martin Rauch zugebracht, das war eine sehr prägende Zeit. Ich habe sehr viele Facetten in dieser Rolle spielen dürfen.
Was mich gleich zu einer ganz intensiven Szene der neuen Staffel führt. Wer hatte denn bei Ihrem großen Drogentrip die Regie inne?
Nay: Das kann man gar nicht aufteilen, das war übergreifend. Als der Drogentrip bei den Baumgartens losging, führte Soleen Yusef Regie, auch noch auf der Mauerparty. Bei den anschließenden Szenen war es aber schon wieder Randa Chahoud.
Brauchte es mehrere Tage, um diese wilden Szenen in den Kasten zu kriegen?
Nay: Ja! Es vor allem eine sehr improvisationslastige Drehzeit, denn es war überhaupt nicht in Stein gemeißelt, wie dieser Trip aussehen sollte. Das Drehbuch gab einen Rahmen vor: Martin Rauch verliert die Kontrolle und gerät dadurch in die Gefahr, aufgedeckt zu werden. Wir haben gesagt, dass wir Martin einen großen Raum der Freiheit geben, denn das konnte man diesem Charakter sonst kaum mehr geben. Er war dafür anderen Menschen gegenüber zu sehr voll Misstrauen.
Deshalb die Drogen …
Nay: Für viele DDR-Bürger hat der Mauerfall neben der Euphorie viele Fragen aufgeworfen. Kommt jetzt die Freiheit? Welches politische System wird sich durchsetzen? Wird uns geholfen werden? Werden wir einfach nur vereinnahmt? Ich wollte, dass Martin durch diese Magic Mushrooms Sorglosigkeit erleben kann, dass er mal komplett loslassen kann! Allein vom Drogentrip haben wir noch so viel Material, daraus könnte man wahrscheinlich weitere acht Folgen schneiden.
Das wird sicher das Bonusmaterial auf der Blu-ray. Aber zurück auf den Boden der Tatsachen. Martin Rauch hat sich ja eh schon lange von der Parteilinie entfernt, ganz im Gegensatz zu seiner Tante Lenora Rauch. Fühlt sich Martin Rauch kein bisschen schuldig? Okay, er wurde von ihr in der zweiten Staffel in der libyschen Wüste zurückgelassen und wäre um ein Haar gestorben. Aber dass sie jetzt schon seit drei Jahren im Westberliner Knast einsitzt, geht ganz und gar auf sein Konto. Gibt es denn kein bisschen Restfamilienbande?
Nay: Seine Tante und er hatten ja schon seit der ersten Staffel (lacht) ein ganz besonderes Verhältnis. Sie ist überhaupt dafür verantwortlich, dass er Spion wurde und sein Leben eine derartige Wendung genommen hat. Dennoch ist es so, dass Lenora und Martin einander gewisse Anker waren. Und klar: Beide haben einen Hochverrat vollbracht, aber ich glaube, dass man in der dritten Staffel noch merkt, sobald es zum großen Showdown kommt, dass es nicht nur Schwarz-Weiß zwischen den beiden gewesen ist und auch nie sein wird.
Martin hat aus meiner Sicht zwei unendlich langweilige Jahre im Kombinat Robotron zugebracht und DDR-Computer verkauft. Wie hat er das überhaupt überstanden, bis jetzt endlich wieder Handlung in sein Leben kommt?
Nay: Ich glaube, dass er sich weniger über sein Dasein als Robotron-Verkäufer definierte als vielmehr über seine Rolle als alleinerziehender Vater. Er ist immer noch auf dem Weg, ein vertrauensvolles Verhältnis zu seinem Sohn aufzubauen. Und auch wenn es nicht erfüllend sein mag, bei Robotron zu arbeiten: Martin hat schon so viel Traumatisches durchlebt, dass er in erster Linie froh ist, nicht im Geheimdienst tätig zu sein.
Es vergeht ja noch nicht mal eine dreiviertel Stunde Erzählzeit, und er zerschlägt schon wieder viel politisches Porzellan in der obersten kommunistischen Riege. Und das nur, weil man ihn für einen kleinen Botengang reaktivieren wollte. Mir scheint, er hat überhaupt keine Agenda, sondern handelt spontan aus dem Bauch heraus.
Nay: Die Drehbuchautoren sprechen immer von Martins moralischem Kompass, den er sich erhalten hat. An dem kann er sich orientieren. Martin hat ja in den sechs Jahren ein sehr gutes, ungetrübtes Bild von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs bekommen. Er handelt durchaus aus dieser ihm eigenen Sicht heraus, aber ich würde nicht sagen, dass das willkürlich ist. Auch dass er versucht, die Regierung der DDR zu stürzen, dass er aber vorher sogar noch seine Mutter zu Rate zieht – das ist für mich alles nachvollziehbar. An dieser Nachvollziehbarkeit war den Autoren sehr gelegen, und ich wurde netterweise vor Drehbeginn immer stark eingebunden.
Sie sagen, Sie hätten in der Rückschau vor allem die Popmusik aus der ersten Staffel für sich ins Leben mitgenommen. Was machte das Jahr 83 so besonders?
Nay: Das lag vor allem daran, dass ich als Jugendlicher selber sehr viel Musik der 80er-Jahre gespielt habe. Damals machte ich mit meinem Vater zusammen Musik, und der hat sehr viel aus den 80ern auf seiner Gitarre gespielt. Ich habe ihn dann immer auf dem Klavier dazu begleitet, das hat also eine persönliche Geschichte. In „86“, mit Paul Simon und „Graceland“, war es einfach eine andere musikalische Welt. Hatten wir in der ersten Staffel noch sehr viel Neue Deutsche Welle, so hat sich die Musik in der zweiten Staffel durch den Handlungsstrang in Afrika doch sehr gewandelt.
Sie wollen auch in Ihrem nächsten Projekt wieder mit Jörg Winger zusammenarbeiten?
Nay: Das stimmt, ich bin in einer Zusammenarbeitet mit Big Window Productions, die auch die neue Staffel produziert haben, aber tatsächlich kann ich noch nicht viel erzählen. Aber es würde mich wirklich wundern, wenn es wieder eine Agentenstory würde.
Welche Rolle würden Sie denn gerne mal spielen? Was wäre eine echte Herausforderung?
Nay: Ich wollte schon immer gerne mal einen Musiker spielen. Immer, wenn ich Biopics über Musiker sehe, die ich mag, bin ich angefixt und denke: Ach Mensch, können sie nicht einen Schauspieler besetzen, der das Instrument auch wirklich beherrscht? Ich hätte so Bock! Vielleicht kriegt ja Rio Reiser ein Biopic …
Rio Reiser würden Sie sofort machen?
Nay: Rio Reiser würde ich auf jeden Fall machen. Bei Rio Reiser würde ich mich sofort in den Casting Pool schmeißen.
Sie haben auch eine unglaubliche Jazznummer in der neuen Staffel.
Nay: Die habe ich auch selber komponiert, zusammen mit David Grabowski, meinem Kompositionspartner, noch während der Produktionszeit.
Gab es da keine Vorlage im Drehbuch?
Nay: Nein, überhaupt nicht. Es gab gar nichts. Ich habe sowohl den Text, als auch die Musik mit David Grabowski geschrieben. Mit ihm komponiere ich ja schon länger Filmscores. Irgendwann kam dann von Randa Chahoud die Frage: Mensch, Jonas, willst du da nicht vielleicht mal? Und Jörg Winger fand das auch gut, also habe ich die Nummer geschrieben. Und natürlich spiele ich sie auch in der Szene.
Immerhin ist die Nummer der Türöffner für Martins Under-Cover-Einsatz. Umso mehr wundert mich, dass die Komposition erst während des Drehs entstand.
Nay. Während des Drehs ist noch so einiges entstanden! Man könnte dies auch als unser Aushängeschild für diese Produktion im Allgemeinen sehen. Es war immer auch ein wenig wie Projektarbeit auf Klassenfahrt: Alle schmeißen das, was sie haben, zusammen. Meine Zusammenarbeit mit den Produzenten, Regisseuren und Autoren ging oft weit über das hinaus, was Schauspieler sonst leisten. Dies trifft auch auf Svenja Jung, Lavinia Wilson oder Maria Schrader zu. Das ist schon sehr ungewöhnlich und ich finde, dass man das der Serie auch anmerkt. Es floss viel kreativer Input, die ganze Zeit.
Interview: Jürgen Wittner