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„Horsepower for the Streets“ von Jonathan Jeremiah: „Nostalgisch sind wir doch alle!“

Jonathan Jeremiah relaxt sitzend an einen Zaun gelehnt
(Foto: Glenn Dearing)

Trotz seines Retro-Soul-Sounds erweist sich Jonathan Jeremiah mit „Horsepower for the Streets“ als Künstler für die Gegenwart. Auf TikTok sieht er seine Songs allerdings nicht.

Jonathan Jeremiah, der Albumtitel „Horsepower for the Streets“ lässt sich als Aufruf zur Solidarität lesen, hat aber auch viele düstere Momente. Welches Gefühl überwiegt am Ende für dich selbst?

Jonathan Jeremiah: Die Alben, die mir besonders gefallen, haben meistens kein so klares Narrativ. Hoffentlich funktioniert auch „Horsepower“ auf mehreren Ebenen. Ich habe während des Schreibens viele Gründe zum Protestieren gesehen – und genauso viele Dinge zum Unterstützen. Als Musiker im Lockdown fragst du dich, wie du selbst etwas beitragen kannst. Für mich hat das bedeutet, ein Album zu machen, das zeigt, dass ich dasselbe fühle wie die Protestierenden – auch wenn das jetzt sehr hippiemäßig klingt.

Dein Sound wird regelmäßig mit Klassikern wie Scott Walker verglichen. Wie stehst du selbst zu Nostalgie?

Jeremiah: Mir sind schon immer Langlebigkeit und Können wichtig gewesen. Eine meiner Schwestern restauriert Buntglas – ich glaube, wir dürfen das Handwerk nie aus den Augen verlieren. Zugleich will ich aber keine Wiederholungen. Man kann Musik machen, die frisch und neu ist, aber nichts mit Computern zu tun hat. Nostalgisch sind wir doch alle, ob es nun um Musik geht oder um das Fußballteam, das du unterstützt: Wurzeln und Bindungen sind nun einmal wichtig. Ich werde mich immer dem R’n’B verpflichtet fühlen, aber ein Album wie „Horsepower“, das englischen Folk mit Soul, sinfonischer Musik, Bossa Nova und Flamenco kombiniert, hätte man früher gar nicht machen können. Jetzt ist die Zeit, in der du alle deine Einflüsse auf einmal verarbeiten kannst.

„Musik sollte sich anfühlen wie eine Konversation.“ Jonathan Jeremiah im Interview zu seinem neuen Album „Horsepower for the Streets“

Woher kommen deine Zweifel, was Computer angeht?

Jeremiah: Als ich ein Kind war, sind wir oft zu der Insel gereist, von der meine Mutter stammt, und haben dort gemeinsam gesungen. Musik sollte sich anfühlen wie eine Konversation. Das ist per Computer nicht so einfach – obwohl wir unser Gespräch ja gerade auch über Zoom führen. Es gibt also Platz für Technologie, aber ein Bildschirm hilft nicht gerade, wenn es um eine echte Verbindung geht.

Was wäre deine Reaktion, wenn es plötzlich einen TikTok-Tanz zu einem deiner Songs gäbe?

Jeremiah: (lacht) Kannst du einen dieser Tänze mal vormachen?

Ich glaube, dafür bin ich etwas zu alt.

Jeremiah: Ich glaube, bei Technologie geht es immer um Balance. Computerbasierte Musik ist wunderbar, ich liebe vieles daran. Aber es ist sehr wichtig, ein organisches, ein menschliches Element zu haben. TikTok und andere Plattformen sind super darin, Menschen zu verbinden, aber sie machen auch abhängig. Für mich wäre es Verschwendung, die Hälfte meiner Kreativität in Technologie zu stecken. Sie muss ins Werk einfließen, dort schlägt mein Herz.

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