Juan S. Guse: Miami Punk
Mit seinem handlungssatten und komplexen Roman kartografiert Juan S. Guse unsere Lebenswirklichkeiten.
Der Atlantik hat sich über Nacht von der Küste Floridas zurückgezogen und eine Wüste hinterlassen. Während viele Industriezweige in Miami bankrott gehen, sich radikale Widerstandsgruppen bilden und ein spiritualistischer Underground floriert, reist eine sehr heterogene Gruppe deutscher Gamer für ein Turnier in die Stadt, und eine alternative Videospielprogrammiererin ist zwischen ihrer Kunst und dem Brotjob hin- und hergerissen. Wie hat es Juan S. Guse nur geschafft, einen so handlungssatten und komplexen Roman zu schreiben, der vor gegenwartsrelevanten Anknüpfungspunkten nur so wimmelt? „Ich habe tatsächlich sehr mit der Informationsökonomie gekämpft: Wie baut man so etwas auf, was ja einerseits verfahren und ein bisschen widerständig, andererseits aber auch nicht komplett willkürlich sein soll?“, gesteht der 30-jährige Autor im Gespräch mit kulturnews lachend ein. „Zumal der Roman auch modular aufgebaut ist. Ich habe ja nicht von A nach Z geschrieben, sondern kapitelweise, sodass unendliche Kombinationsmöglichkeiten bestehen, wie man die anordnen kann. Geholfen hat, mich an anderen großen Büchern zu orientieren, die auch mit viel Personal arbeiten und in den Ebenen springen: Zu ,Unendlicher Spaß’ von David Foster Wallace habe ich mir sogar ein Excel-Dokument angelegt, in dem ich in den Inhalt von jedem Kapitel und die jeweilige Länge festgehalten habe.“ Der Vergleich mit „Unendlicher Spaß“ ist keinesfalls zu hoch gegriffen, und so versucht auch Guse es nach Möglichkeit zu umgehen, „Miami Punk“ zu verschlagworten. „Ich habe mir vorgenommen, mich stets danach zu richten, auf welche Aspekte der jeweilige Leser anspringt. Bei meinem ersten Buch habe ich den Fehler gemacht, zu sehr Deutungshoheit über den Text haben zu wollen. Allerdings hat neulich eine Literaturkritikerin den Roman im Radio kurz vorgestellt, und für sie standen Roboter im Mittelpunkt, die uns die Arbeit abnehmen. Natürlich geht es sehr viel um die Bedeutung von Arbeit – aber das war dann doch ein bisschen weit hergeholt, und da würde ich in einem Gespräch dann wohl doch reingretschen.“ In dem Roman zeigt Guse ganz unterschiedliche Reaktionen auf eine Welt, in der sinnstiftende Strukturen und Bedeutungen wegbrechen. Besonders eindringlich ist etwa das Bild der sogenannten Schläfer: Ein ganzer Industriezweig bricht zusammen, doch die entlassenen Arbeiter weigern sich, diese Realität anzuerkennen. Sie leeren ihre Briefkästen nicht mehr, halten an ihren gewohnten Tagesabläufen fest, indem sie trotz allem jeden Morgen zur Arbeit gehen. „Bei diesem Klammern an Routinen im Angesicht des drohenden Verlustes gehen bei mir ganz viele Reiter auf, um über Arbeit nachzudenken“, kommentiert Guse. „Ein unmittelbarer Konnex ist etwa David Graeber, der ,Bullshit Jobs’ geschrieben hat. Welchen Wert messen wir eigentlich heute unserer Arbeit zu, wenn nach Umfragen 32 Prozent in der privaten Wirtschaft der Meinung sind, dass ihre Arbeit bedeutungslos ist?“
Juan S. Guse Miami Punk
S. Fischer, 2019, 640 S., 26 Euro