„Kälte“ von Szczepan Twardoch
In „Kälte“ lässt der polnische Autor Szczepan Twardoch seinen Helden leiden wie noch keinen Helden zuvor.
Kälte“ von Szczepan Twardoch ist ein vielschichtiger Roman, sowohl auf verschiedensten zeitlichen Ebenen als auch ästhetisch, zwischen bestechend rationaler Berichterstattung und wilder Tagebuchform wechselnd.
„Kälte“ von Szczepan Twardoch ist unsere Buchempfehlung der Woche.
Früher gab sich der polnische Schriftstellerstar Szczepan Twardoch als Dandy, doch seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine fährt der Schlesier privat mit seinem Geländewagen Waffen an die ukrainische Front, bevorzugt Drohnen. Sein neuer Roman „Kälte“ ist zeitlich ein Produkt dieses Krieges und stellt mit Konrad Widuch erneut einen Schlesier ins Zentrum des Geschehens. Als solcher ist Widuch Zeit seines Lebens Opfer und Täter zugleich: Im deutschen Kaiserreich dient er in der Kriegsmarine und nimmt am Matrosenaufstand in Kiel teil, später wird Widuch zum Revolutionär und geht mit Kurt Radek in die Sowjetunion, kämpft in der Reiterarmee und kommt unter Stalin schließlich ins Räderwerk des mörderischen Geheimdienstes NKWD – Widuch wird mit Frau und Kindern nach Sibirien verbannt.
In den Folterkellern Stalins, in der eisigen Kälte Sibiriens
Twardoch lässt seinen Helden – gespiegelt durch ein gleichnamiges Alter Ego des Schriftstellers in der Jetztzeit – leiden wie noch keinen Helden vorher: in den Folterkellern Stalins, auf der Flucht aus dem Gulag in der eisigen Kälte Sibiriens, beim fiktiven Stamm der Menschen aus Cholod und auf einem Boot im zugefrorenen Polarmeer. Eine Abrechnung mit dem aktuellen Russland? Sicher, das passt zu Twardoch, aber nicht nur. „Kälte“ ist ein vielschichtiger Roman, sowohl auf verschiedensten zeitlichen Ebenen als auch ästhetisch, zwischen bestechend rationaler Berichterstattung und wilder Tagebuchform wechselnd – ein echter Twardoch eben.
Mit „Kälte“ hat es Szczepan Twardoch auf unsere Liste der besten Bücher im Juli 2024 geschafft.