„Karla“: Eine Selbstermächtigung im Jahr 1962

Es ist die erste Rolle für Elise Krieps, die Tochter von Vicky Krieps: Sie spielt die Hauptrolle im Missbrauchsdrama „Karla“. Der Film läuft jetzt im Kino.
Der Film „Karla“ verhandelt einen Missbrauch in der Familie, der in den 1960er Jahren in München wirklich stattfand. Damals ging die 12-jährige Karla selbst zur Polizei und später direkt zu einem Richter, um Anzeige gegen den eigenen Vater zu stellen, der sie wiederholt missbraucht hatte. Das Mädchen Karla im gleichnamigen Film von Christina Tournatzẽs wird von Elise Krieps gespielt.
Als die 12jährige Karla zum ersten Mal im Büro des Richters Lamy (Rainer Bock, „Oktoberfest 1905“, „ZERV – Zeit der Abrechnung“) sitzt und Anzeige erstattet, sagt sie nicht, sie sei vergewaltigt worden: Karla ist auf gewisse Weise sprachlos, kann das Verbrechen, dessen Opfer sie wieder und wieder gewesen ist, nicht beim Namen nennen. Aber Karla ist intelligent, hat sich in Bibliotheken eingelesen und erstattet Anzeige wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 172 StGB. Und das ist beileibe nicht der einzige Moment, in dem sie ihre Sprachlosigkeit zu überwinden weiß. Später wird Richter Lamy ihr eine Stimmgabel geben, die sie immer dann erklingen lassen soll, wenn sie eigentlich den Missbrauch benennen müsste. Regisseurin Christina Tournatzẽs hat einen wunderbar ruhigen Film gedreht, der zugleich ihr erster Langfilm ist. Bewusst setzt sie keinen Score ein, sie gibt dem Gesicht von Karla viel Kamerazeit, und Elise Krieps, die Tochter von Vicky Krieps, nutzt diese Gelegenheit, um ein ein einerseits in sich verschlossenes, andererseits aber auch selbstbewusstes Mädchen zu spielen, das lieber in einem Mädchenheim wohnt als zu Hause bei den Eltern und totzt ihrer großen Ängste die Kraft findet, um dem Gerichtssaal zu trotzen. Hilfe erfährt sie dabei von Richter Lamy, der sich nach anfänglicher Angst um seine Karriere – wir schreiben das Jahr 1962 – nicht zuletzt auch auf Drängen seiner Sekretärin (hervorragend die unbeteiligt Beobachtende und sich im richtigen Moment Einmisschende spielend: Imogen Kogge („The Zone of Interest“, „Die Theorie von allem“) aufrafft und immer entschiedener – obwohl Richter – die Seite des klagenden Mädchens vertritt. Christina Tournatzẽs ist mit diesem Film ein hervorragender Erstling gelungen, der mit Ruhe und Souveränität ein schlimmes Verbrechen nach wahrer Begebenheit verhandelt.