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Kendrick vs. Drake: Was bleibt nach dem größten Rap-Beef des Jahrhunderts?

Drake vs Kendrick
Drake (links) und Kendrick Lamar (rechts) sind seit Jahren verfeindet, aber 2024 ist das Beef zwischen ihnen eskaliert. (Foto: The Come Up Show, CC BY 2.0 <https://creativecommons.org/licenses/by/2.0>, via Wikimedia CommonsFuzheado, CC BY-SA 4.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0>, via Wikimedia Commons)

Mit dem Video zu „Not like us“ ist Kendrick Lamars Sieg in seiner Fehde mit Drake besiegelt. Wir zeichnen den Streit nach – und fragen uns, ob es wirklich Grund zum Feiern gibt.

Man kann es eine Ehrenrunde nennen. Einen krönenden Abschluss. Oder auch Salz in der Wunde. Fest steht: Dass Kendrick Lamar am Freitag nun auch noch ein Video zu seinem Song „Not like us“ veröffentlicht hat, noch dazu ein Video, das seitdem bereits mehr als 30 Millionen Streams verzeichnet hat, ist nur die letzte Bestätigung, dass der US-Rapper die Fehde mit seinem kanadischen Kollegen Drake endgültig und unwiderlegbar gewonnen hat. Tatsächlich hat vielleicht noch nie ein Rapper ein Beef so entschieden gewonnen wie Kendrick dieses hier.

Der Konflikt hat sich über mehrere Monate hingezogen und weit über die Grenzen der HipHop-Community für Aufsehen gesorgt. Jetzt, am Ende, steht Kendrick Lamar nicht nur als Sieger da, sondern hat auch seinen Status als Retter einer ganzen Kultur erneuern können. Aber sind wir wirklich am Ende? Und was ist mit den kritischen Stimmen, auch aus der Rapwelt selbst, die das ganze Beef für problematisch halten? Immerhin geht es um Themen, die mit Entertainment nichts zu tun haben sollten. Zeit für eine Bilanz aus der Ferne.

Kendrick vs. Drake: Eine Übersicht

Machen wir also Rinderfilet, d.h. einen Querschnitt durch das Beef. Schuld an allem sind zwei andere Künstler: Future und Metro Boomin. Auf deren Track „Like that“, erstmals erschienen am 22. März auf dem Album „We don’t trust you“, hatte Kendrick Lamar einen Gastauftritt – eine Strophe, die beim ersten Hören kaum etwas Ungewöhnliches hat. Mit Ausnahme einer kurzen Zeile: „Motherfuck the big three“, rappt Kendrick darin. „It’s just big me.“ Gemeint ist das Trio aus ihm selbst, Drake und J. Cole, die immer mal wieder als Big Three bezeichnet werden – als die drei wichtigsten Rapper ihrer Generation, die alle etwa zu Beginn der 2010er-Jahre ihren Durchbruch feiern konnten. J. Cole selbst hatte den Begriff auf dem Song „First Person Shooter“ auf Drakes Album „For all the Dogs“, erschienen im Oktober 2023, wiederbelebt. Kendrick allerdings war nie Fan dieser Kategorisierung und hat ihr mit „Like that“ eine recht harmlose Absage erteilt.

J. Cole reagiert – und zieht sich gleich wieder zurück

Doch sowohl Drake als auch J. Cole haben die Zeile als Herausforderung verstanden und ihrerseits mit Disstracks reagiert. Nun war J. Cole noch nie besonders gut im Beefen – selbst seine Attacken auf andere Rapper:innen kommen meist noch schmeichelhaft rüber. Seinen eher halbherzigen Track „7 Minute Drill“ vom 5. April hat er entsprechend kurz darauf wieder gelöscht und sich in aller Form entschuldigt. Eine Entscheidung, die damals für Heiterkeit gesorgt hat – im Nachhinein allerdings immer weiser wirkt.

Der wahre Konflikt lag von Anfang an woanders: Unstimmigkeiten zwischen Kendrick Lamar und Drake reichen weit zurück, obwohl sie 2011 und 2012 noch in Songs des jeweils anderen aufgetreten sind. In den Folgejahren kam es immer wieder zu mal mehr, mal weniger kryptischen Seitenhieben, eine offene Fehde ist allerdings ausgeblieben. Bis „Like that“, auf das auch Drake reagiert hat: zunächst mit gleich zwei Disstracks hintereinander, ohne eine Reaktion von Kendrick abzuwarten.

Drake legt vor: „Push ups“ und „Taylor made Freestyle“

„Push ups“ vom 19. April war als Rundumschlag gedacht, in dem Drake nicht nur gegen Kendrick schießt, sondern eine ganze Reihe von Musikern, darunter auch Rick Ross und The Weeknd. Zu diesem Zeitpunkt konnte es noch so wirken, als würde der Wettstreit vor allem für bessere Musik sorgen – so aggressiv und wach hatte Drake lange nicht mehr geklungen.

„Taylor made Freestyle“, am gleichen Tag veröffentlicht, wiederum war spezifisch auf Kendrick zugeschnitten. Der Text war nichts Besonderes, der eigentliche Clou die Produktion: Drake hat sich KI-generierte Strophen der West-Coast-Ikonen Tupac und Snoop Dogg zur Unterstützung geholt. Allerdings, ohne das mit Tupacs Erben zu klären, die daraufhin Klage eingereicht haben, weshalb „Taylor made Freestyle“, ganz wie Coles Tracks, heute nicht mehr auf den Streamingplattformen zu finden ist. Kendricks Reaktion folgte am 30. April: „Euphoria“.

„Euphoria“: Runde 1 geht an Kendrick Lamar

Kendrick beginnt den Song recht entspannt, fast apathisch, wird jedoch mit jeder Strophe wütender. Er wirft Drake vor, nicht wirklich Teil der HipHop- oder der Schwarzen Kultur zu sein, und spielt auf seinen Sohn Adonis an, den Drake erst nach dem berüchtigten Track „The Story of Adidon“ von Pusha T öffentlich anerkannt hat. Der Titel „Euphoria“ ist dabei eine Anspielung auf die gleichnamige, von Drake mitproduzierte Serie, die in der Vergangenheit mehrfach kritisiert wurde, weil sie ihre Hauptfiguren im Teenager-Alter sexualisiere.

Damit nimmt Kendrick auch auf Drakes kontroverse Beziehungen zu minderjährigen Frauen Bezug – ein Thema, das in seinen folgenden Tracks immer mehr Raum einnehmen sollte. „Euphoria“ wurde von den Fans gefeiert, es gab jedoch auch kritische Stimmen, die Kendrick homophobe und misogyne Lines vorwarfen, darunter: „I believe you don’t like women, it’s real competition, you might pop ass with ’em“.

Am 3. Mai hat Kendrick mit „6:16 in LA“ den nächsten Track gedroppt, der wohl von allen am wenigsten Wellen geschlagen hat – auch, weil er nur zu bald von den folgenden überschattet wurde. Bemerkenswert ist er vor allem für Kendricks Andeutung, dass Mitarbeiter:innen von OVO Sound, Drakes eigenem Label, Kendrick Insider-Informationen zuspielen. Zudem wurde der Song von Jack Antonoff mitproduziert, der bekannt ist für seine Arbeit mit Taylor Swift, was von vielen als bewusste Reaktion auf „Taylor made Freestyle“ interpretiert wurde.

„Family Matters“ vs. „Meet the Grahams“: Wer kommt weiter unter die Gürtellinie?

Drake reagierte prompt: Noch an demselben Tag teilte er „Family Matters“, einen Song, den er offensichtlich schon länger vorbereitet hatte. Als der erste Track dieses Beefs wurde er nämlich von einem eigenen Musikvideo begleitet. Zugleich markierte der Song eine Eskalation des Streits, der nun endgültig auf der persönlichen Ebene angekommen war: Im Text, der erneut auch andere Künstler wie Rick Ross oder The Weeknd attackiert, unterstellt er Kendrick, seine Partnerin Whitney Alford zu betrügen und körperlich anzugreifen, und suggeriert, eines ihrer gemeinsamen Kinder sei in Wahrheit das Kind von Dave Free, Kendricks langjährigem Freund und Geschäftspartner. Im Zusammenhang mit dem Video drängt sich der Eindruck auf, Drake habe „Family Matters“ als triumphalen Abschluss des Beefs geplant gehabt. Doch dieser Plan ging nicht auf.

Denn auch Kendrick war vorbereitet: Weniger als eine Stunde nach der Veröffentlichung von „Family Matters“ war seine Antwort „Meet the Grahams“ draußen. Offensichtlich hatte er abgewartet, ob Drake wirklich seine Familie attackieren würde, um nun seinerseits alle Register zu ziehen. „Meet the Grahams“ ist dabei weniger ein Disstrack als eine Hasspredigt mit Beat – und selbst für Kendrick-Fans der Zeitpunkt, wo vielen der Spaß verging. Die Grahams im Titel sind die Familienmitglieder von Drake, der bürgerlich Aubrey Drake Graham heißt. Kendrick widmet Drakes Sohn, seiner Mutter, ihm selbst und einer angeblichen Tochter jeweils eine Strophe.

Er bezeichnet Drake als Lügner, als schlechten Vater, als pillenabhängig, stellt ihn auf eine Ebene mit Harvey Weinstein und unterstellt ihm und seinen Mitarbeitern bei OVO, Frauen und Kinder zu missbrauchen. Mehrfach wünscht er Drake einfach den Tod – ohne Witz, Ironie oder doppelten Boden. Das Cover unterstützte dabei seine Behauptung, Insider-Infos aus Drakes Umfeld zu haben, denn es zeigt Gegenstände, darunter diverse Medikamente, die womöglich Drake selbst gehören.

Ein Disstrack wird zum Überhit

Drake stritt in den sozialen Medien ab, eine heimliche Tochter zu haben, ließ die anderen Anschuldigungen allerdings unkommentiert. Während Fans noch „Meet the Grahams“ auseinandernahmen, teilte Kendrick am folgenden Tag schon den nächsten Song. „Not like us“ ist das eingängigere Gegenstück, das inhaltlich denselben Pfaden folgt: Auch hier wirft Kendrick Drake und seiner Crew explizit vor, pädophil zu sein, tut das allerdings mit schwarzem Humor und Punchlines, die in „Meet the Grahams“ fehlen („Tryna strike a chord and it’s probably A minor“). Wohl deshalb, und dank des tanzbaren Beats von Produzent Mustard, schaffte „Not like us“ das, was Disstracks meistens eher abgeht: Der Song stürmte die Charts und brach auf Spotify den Rekord für die meisten Streams an einem Tag für einen HipHop-Track.

Spätestens damit war der Kampf nach allgemeiner Meinung entschieden. Denn dass Kendrick komplexere Zeilen schreiben würde als Drake, war schon zu Beginn des Beefs klar. Dass er als der authentischere Rapper und schlicht bessere Musiker gilt, auch. Doch indem er Drake nun auch noch auf kommerzieller Ebene übertraf, konnte Kendrick Lamar die Fehde auch auf der Ebene für sich entscheiden, die seit Jahren von Drake dominiert wird.

Zwar reagierte Drake nur einen Tag später mit seiner eigenen Antwort „The Heart Part 6“ und hatte damit technisch gesehen das letzte Wort. In dem Track behauptet er, Kendrick absichtlich falsche Informationen zugespielt zu haben, und unterstellt erneut eine Affäre zwischen Whitney Alford und Dave Free. Den Vorwurf der Pädophilie streitet er ab. Doch nicht nur ist Drake den ganzen Song über eindeutig in der Defensive, die Reaktion von Kritiker:innen und Fans war überwiegend negativ. Später löschte Drake ihn sogar ganz aus seinem Instagram-Feed, was gemeinhin als Eingeständnis seiner Niederlage interpretiert wurde.

So weit, so gut – doch der Siegeszug Lamars war noch nicht vorbei.

„Not like us“: Vereint im Hass auf Drake

Am 19. Juni 2024 – Juneteenth, dem Feiertag zu Ehren des Endes der US-Sklaverei – gab Kendrick ein Konzert in Los Angeles, das noch immer ganz im Zeichen der Fehde stand. So begann er sein Set mit „Euphoria“ und performte später seine Strophe aus „Like that“. Am Ende leitete Dr. Dre, eine von vielen West-Coast-Legenden, die Kendrick an diesem Abend auf der Bühne hatte, „Not like us“ ein, und Kendrick rappte den Song insgesamt fünf Mal hintereinander, wobei er mehrmals nach der ersten Strophe halt machte und wieder von vorne anfing.

Dazu holte er nicht nur immer mehr Musiker auf die Bühne, die am Abend Teil der Show gewesen waren, sondern auch Mitglieder lokaler Gangs, darunter der verfeindeten Crips und Bloods. Alles kulminierte in einem Gruppenfoto, das ein emotionaler Kendrick so kommentierte: „This is unity at its finest.“ Natürlich sind all diese Konflikte nicht gelöst, aber für einen magischen Moment wirkte es, als könnte die Musik sie tatsächlich überwinden – und das nur, weil die Westküste in ihrem Hass auf Drake vereint ist.

Am nächsten großen Feiertag der USA, dem Unabhängigkeitstag am 4. Juli, ging schließlich das Musikvideo zu „Not like us“ online. Darin widerlegt Kendrick indirekt mehrere Unterstellungen von Seiten Drakes, unter anderem sind seine Partnerin und seine Kinder zu sehen, die fröhlich mit ihm tanzen. Auch, dass Dave Free gemeinsam mit Kendrick als Regisseur genannt wird, spricht gegen die Behauptung einer Affäre zwischen ihm und Whitney Alford. Vielleicht der größte Flex allerdings ist, wie wenig auch das Video mit einem klassischen Disstrack gemein hat – die feiernden Fans, die darin zu sehen sind, mögen den Song nicht, weil er gegen Drake gerichtet is. Das ist an dieser Stelle, suggeriert das Video, fast nur noch ein Bonus.

Also alles gut? Kritik aus der Community

Ein gutgelaunter Kendrick Lamar, eine heile Familie, ausgelassene Fans und ein Disstrack, der Brücken zwischen verfeindeten Gangs schlägt – das sind die Bilder, die am Ende des Beefs im Gedächtnis bleiben. Ist also alles gut – solange man nicht zufällig Drake heißt? Es gibt noch einen anderen Blickwinkel, nach dem diese Fehde keinen wirklichen Gewinner hat. Schon früh haben sich kritische Stimmen aus den eigenen Reihen geregt. „Keiner hat den Krieg gewonnen“, schrieb Roots-Drummer Questlove im Mai. „Das war eine Schlammschlacht auf Wrestling-Match-Art und ein Niedermachen um jeden Preis – ohne Rücksicht auf Frauen & Kinder (& tatsächliche Fakten)“.

Rapper Vince Staples kritisierte die Fehde im Kontext der HipHop-Industrie und den Vorurteilen, die ihr noch immer entgegengebracht werden: „Seit Jahrzehnten sagen wir, wir wollen, dass die Leute Schwarze Musik und Schwarze Kunst und Schwarze Menschen respektieren sollen. Ich glaube, damit das passiert, müssen wir uns selbst respektieren, und sie machen es nicht leicht für uns“.

Zudem wird man nicht umhin kommen, bei beiden Rappern eine gewisse Heuchelei zu bemerken. Beide haben sich in der Vergangenheit mit anderen Künstlern solidarisiert, die wegen Gewalt gegen Frauen verurteilt wurden; so hat Drake etwa Tory Lanez unterstützt, der Megan Thee Stallion in die Füße geschossen hat. Und Kendrick Lamar hat auf seinem letzten Album mit Kodak Black kollaboriert, der 2016 wegen Vergewaltigung verurteilt wurde.

Die wahren Opfer

Zuletzt stellt sich die Frage, wie sich die jeweiligen Ebenen, die vor allem „Not like us“ verschmilzt – der Spaß und der Ernst, das Persönliche und das Musikalische, das nur Angedeutete und das schrecklich Explizite – miteinander vereinbaren lassen. Die Vorwürfe, die vor allem Kendrick Drake macht, sind keine Kleinigkeit, sondern schwerste Verbrechen. Wenn sie nicht der Wahrheit entsprechen sollten, hat Kendrick Drakes Reputation aufs Schmutzigste zu ruinieren versucht, nur aufgrund von Gerüchten. Damit würde aber auch der gerechte Zorn verpuffen, der seinen Fans beim Zuschauen das gute Gefühl gibt, auf der richtigen Seite zu stehen.

Sollten sie andererseits doch wahr sein, gehört Drake nicht nur gecancelt, sondern für viele Jahre eingesperrt – und Kendrick wäre in der Verantwortung, alles daran zu setzen, dass es so kommt. „Man kann [diese Vorwürfe] nicht einfach als typische Rap-Spielereien abtun, oder?“, fragt Alphonse Pierre, HipHop-Experte bei Pitchfork. „Man muss an die Frauen denken, die diejenigen sind, die wirklich gelitten haben, die nicht die Macht haben, für sich selbst zu sprechen.“

Bye, bye, Big 3

Beide Szenarien passen nicht so recht zu den vergnügten Sommer-Vibes, die „Not like us“ versprüht, ebenso wenig zu den zahllosen Witzen, die in den letzten Monaten auf Drakes Kosten gemacht wurden. So bemerkenswert es ist, dass ein Song wie „Not like us“ zum Hit werden konnte, so irritierend ist es auch. Ein bisschen so, als hätte Maria Schrader, die 2022 mit „She said“ einen Film über die Enthüllungen von Harvey Weinsteins Verbrechen gedreht hat, diesen als Feelgood-Komödie aufgezogen.

Das ist unvorstellbar – und das hätte wohl vor ein paar Monaten auch für den Erfolg von „Not like us“ gegolten. Was beweist der also? Na ja, eines mit Sicherheit: Von den „Big Three“ wird in Zukunft niemand mehr sprechen können, ohne an Kendricks überwältigenden Sieg zu denken. Vielleicht war das ja alles, worauf es ihm am Ende angekommen ist. Und: Der einzige der Drei, der wirklich sauber aus der ganzen Sache rauskommen wird, ist wohl J. Cole. Aber wer war das noch gleich?

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