Konzertveranstalter: Dem Virus ein Schnippchen schlagen
In ganz Deutschland arbeiten Konzertveranstalter*innen daran, ein Liveerlebnis wieder möglich zu machen. Der Ideenreichtum ist groß. Die Widerstände auch.
Langsam wird es ernst. Seit Monaten liegt die deutsche Konzertlandschaft brach. Jetzt, wo die Sommerpause sich dem Ende zuneigt, versucht man in ganz Deutschland zurück zum Konzertbetrieb zu finden. Es ist ein Vorhaben, das die gesamte Gesellschaft betrifft; nicht nur die Fans, die endlich wieder Livemusik hören wollen; nicht nur die Künstler*innen, die es zurück auf die Bühnen zieht – nein, auch die Politik, deren Vorgaben Chancen bieten und Grenzen setzen.
Jedes Bundesland hat eigene Verordnungen aufgestellt, die mitunter skurrile Blüten treiben. So wie die Situation, die Jazztrompeter Nils Wülker kürzlich bei einem Open-Air-Konzert in Dortmund erlebt hat. „In NRW sind zur Zeit keine ,offenen Blasinstrumente‘ erlaubt“, erzählt er und lacht. „Deshalb musste ich einer Damenstrumpfhose die Beine abschneiden und die über meine Trompete ziehen. Ein bisschen absurd, wenn man ohnehin an der frischen Luft ist und außerdem sechs Meter von der ersten Reihe entfernt.“ Der Musiker hat jedoch Verständnis: „So sind eben die Regeln.“
Strumpfhosen sind nicht das einzige neue Konzept, das in dem Bundesland probiert wird. In der Lanxess-Arena in Köln werden schon seit dem 20. Juni wieder Konzerte veranstaltet. Das Geheimnis? Ein strenges Hygienekonzept, bei dem die Zuschauer*innen in Kleingruppen auf Glasboxen verteilt werden, ein bisschen wie beim Autokino. Popsänger Wincent Weiss eröffnete die Konzertreihe, die bis heute andauert.
Aber nicht überall läuft es so glatt. Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg plant in Düsseldorf eine große Arenashow unter dem Titel „Give live a Chance“ mit 13 000 Zuschauer*innen – ursprünglich für den 4. September. Unter anderem Bryan Adams und Sarah Connor sollen spielen. Nach ursprünglicher Genehmigung wurden bald kritische Stimmen laut; Oberbürgermeister Thomas Geisel erntete Tadel nicht nur von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, sondern auch Armin Laschet und Martin Söder.
Sarah Connor hat sich auf Instagram gerechtfertigt: „Seid gewiss, ich gehe auf keinen Fall leichtsinnig mit der Situation um“, schrieb sie ihren Fans. „Aber: [A]uch meine Branche hat in den letzten Monaten extrem gelitten. Auch ich habe viele Freunde und Kollegen[,] deren Existenzen mittlerweile bedroht sind.“ Nach einer zweiwöchigen Wartezeit wurde das Konzert am 25. August verschoben, es soll jetzt „im Spätherbst“ stattfinden. „Die gegensätzlichen Positionen ließen sich nicht überbrücken“, hieß es dazu in einem Statement. Besucher*innen, die bereits Tickets erworben haben, erhalten vorsorglich ihr Geld zurück.
„Über die schrittweise Öffnung des öffentlichen Lebens entscheiden die Bundesländer in eigener Verantwortung. Sie berücksichtigen dabei auch die regionale Entwicklung der Covid-19-Infektionszahlen.“ Die Bundesregierung
In Hamburg wird eine etwas andere Großveranstaltung vorbereitet, die wohl auch deshalb bessere Überlebenschancen hat: Das Reeperbahn Festival ist ein jährlicher Anlaufpunkt für Musikfans und Vertreter*innen der Branche. Dieses Jahr kommt das Festival als Hybrid, das Livekonzerte und digitale Veranstaltungen kombiniert. Unter Letztere fallen in diesem Jahr alle Programmpunkte für Fachpublikum, die Events vor Ort richten sich an die Fans. Vom 16. bis zum 19. 9. soll es 120 Konzerte an 20 Spielorten geben, die von kleinen Klubs über die St. Michaelis Kirche bis zu einer eigens gezimmerten Bühne auf dem Heiligengeistfeld reichen. Auf dem Programm stehen vornehmlich deutsche Acts: Die Sterne, International Music, Ätna. Die Shows in der Elbphilharmonie, eigentlich ein Höhepunkt des Festivals, fallen dieses Jahr aus. Trotzdem rechnen die Veranstalter*innen mit mehr als 2 000 Besucher*innen pro Tag.
Das Reeperbahn Festival ist damit auch ein Feldversuch für Konzerte, die nicht in Arenen stattfinden, sondern Klubs und Bars – Betrieben, bei denen eine Beschränkung der Zuschauerzahlen leicht zu einem Publikum im zweistelligen Bereich führt. In ganz Deutschland müssen sich Klubbetreiber*innen mit der neuen Realität arrangieren. Das klappt manchmal besser, manchmal schlechter – je nachdem, ob die Politik Unterstützung signalisiert.
„Wir kommunizieren sehr eng mit der Kulturbehörde“, sagt Constantin von Twickel. Er leitet in Hamburg die Klubs Nochtspeicher und Nochtwache und sitzt im Vorsitz vom Clubkombinat Hamburg. „Ich finde es großartig, was da bisher alles stattgefunden hat. Die Unterstützung ist da.“ Zunächst geht es im Rahmen des Reeperbahn Festivals wieder los. Für das Konzept hat man sich von der Gastronomie inspirieren lassen, alle Konzerte sind bestuhlt und auf Abstand bedacht, sodass die Gäste keine Masken tragen müssen. Natürlich bedeutet das weniger Platz im Publikum: Statt der Gesamtkapazität von 300 Zuschauer*innen kann der Nochtspeicher aktuell 60 Gäste unterbringen. Wirtschaftlich lohnt sich das nicht – aber es geht ja auch um die Fans, um den Beweis, dass Konzerte weitergehen. Die Kulturbehörde unterstützt den Klub deshalb mit einer Fehlbedarfsfinanzierung.
„Wenn wir ein Jahr zumachen, versenken wir knapp eine Million.“ Ralf Scheffler, Klubbetreiber
Weniger rosig sieht es in Frankfurt aus. „Am liebsten würde ich sofort den Stecker ziehen“, sagt Ralf Scheffler, der das Kulturzentrum Batschkapp führt. Er fühlt sich von der Politik allein gelassen: „Es wird zwar betont, dass alles ganz furchtbar ist, aber zuletzt überwiegt die Angst, es könnte etwas passieren.“ Zwar ist das Batschkapp Teil der „Kultur-Sommergärten“, bei denen Freiflächen in ganz Frankfurt bespielt werden dürfen. Eine langfristige Perspektive, ein „Fahrplan“ zur Wiederöffnung, sei allerdings nicht in Sicht, beklagt Scheffler.
In der Halle seines Klubs könne er aktuell nur bis zu 200 Leute unterbringen, was nicht nur keine Einnahmen bringe, sondern sogar Geld kosten würde. „Wenn wir ein Jahr zumachen, versenken wir knapp eine Million“, sagt der Klubbetreiber. „Da sind auch 200 000 Euro Überbrückungshilfe nicht sehr hilfreich – wenn auch besser als nichts.“ Man müsse noch mutiger nach Lösungen suchen, auch in Zusammenarbeit mit Experten.
„Ob die neu genehmigten Gelder der Bundesregierung so eine Lösung sind? Im Rahmen des Konjunkturprogramms „Neustart Kultur“ stellt sie Klubbetreiber*innen insgesamt 27 Millionen Euro zur Verfügung. Noch bis Ende Oktober kann ein einmaliger Zuschuss beantragt werden, je nach Größe des Klubs für bis zu 150 000 Euro. Bei einer Million Verlust im Jahr könnte selbst dieses Geld schnell knapp werden. Außerdem gilt das Programm zunächst nur für die nächste Saison.
Dabei könnte die Pandemie länger dauern, wie Johannes Martin vom Berliner Kesselhaus weiß: „Ich denke, dass wir vor Herbst ’21 oder sogar Frühjahr ’22 nicht in gewohnten Bahnen weitermachen werden – das ist das Worst Case Scenario.“ Bis dahin reicht das Geld. Danach wird es haarig. Wie im Nochtspeicher ist im Kesselhaus zur Zeit nur für 60 Leute Platz. Trotzdem richten sie Veranstaltungen aus – wegen der Signalwirkung. Die Klubleitung will die ungewohnte Situation zum Experimentieren nutzen: Im September gibt es zehn Konzerte im Kesselhaus, vornehmlich Jazz und Neue Musik. Es sei auch eine Gelegenheit, lokale Acts zu unterstützen, sagt Martin. Was ihm noch fehlt: mehr Vernetzung, auch mit den staatlichen Einrichtungen.
Dennoch gibt sich der Veranstalter vorsichtig optimistisch: „Natürlich geht es weiter mit Kultur. Die Frage ist nur, wann und wie – und ob wir dann alle noch dabei sind.“ Nils Wülker teilt seine Zuversicht: „Es ist gerade holprig und wird sicherlich auch länger so bleiben. Aber Musik hat schon ganz andere Krisen überstanden. Sie wird niemals verschwinden.“