Lambchop: Flotus
Wegen eines Rückenleidens gibt Kurt Wagner Konzerte ausschließlich im Sitzen. Was ihn nicht davon abhält, sich mit dem neuen Lambchop-Album musikalisch verjüngt zu platzieren.
Klarer Fall von Midlife-Crisis. Oder wie ließe es sich sonst erklären, dass Kurt Wagner den bestuhlten Americana-Jazz seiner Band Lambchop gegen elektronisch geschliffenen HipHop eingetauscht hat? Was bei anderen die Harley Davidson ist, ist dem Mittfünfziger seine musikalische Verjüngung. „Ja, genau danach sieht es aus“, sagt Wagner und hustet sein heiseres Lachen hervor. Die These der altersbedingten Krise zu widerlegen, macht er sich nicht die Mühe. Warum auch? Schließlich haben Lambchop, so unbeweglich langsam ihr Sound anmutet, sich immer schon zu verändern gewusst. Ob vom 18-köpfigen Kollektiv mit wechselnden Musikern hin zur kleinen feinen Band oder vom knarzig-melodischen Indierock zum Americana-Jazz, Wagners Wandlung vom Parkettleger zum Bandleader inbegriffen.
Nun also HipHop. „Diese Musik war schon immer Teil meines Lebens“, erklärt Wagner. „Unsere Nachbarn hören das ständig, oder es schallt aus den Boxen vorbeifahrender Autos, wenn ich auf der Terrasse sitze.“ Wagner hatte keine Ahnung, wie die Künstler hießen, aber er fand sie großartig. Und begann nachzuforschen. Recht beflissen, denn vom Konzertbesuch bei Shabaz Palaces über das Studieren digitaler Produktionsmethoden bis hin zum Loopen der eigenen, unverwechselbaren Stimme, Wagner scheute keine Experimente.
Wie die Arbeit eines Beginner klingt „Flotus“ nicht. Stattdessen fiept, rauscht und beatet es minutenlang, Wagners Gesang leiert, schert aus, überlappt sich selbst und bleibt doch anschmiegsam. Nicht mal die Anknüpfung an Disco scheut der Musiker, wie auf dem 18 Minuten raschelnd voran groovenden „The Hustle. „Ich bin fasziniert von dieser Zeit, dem Ende von Disco und dem Beginn von HipHop, als die Leute begannen, Technik in einer neuen Art und Weise zu benutzen“.
Bei aller Irritation: „Flotus“ ist eindeutig eine Lambchopplatte geworden. Ein Album, das Wagner seiner Frau Carla Manzini gewidmet hat. Als ehemalige Besitzerin des in Nashville einzigen auf Indie und Punk spezialisierten Plattenladens, ist Manzini einen nicht minder ungewöhnlichen Weg als ihr Mann gegangen und steht als Politikerin den Demokraten in Tennessee vor. Während Kurt Wagner mit Lambchop also weiter die musikalische Flexibilität des Americana-Rock unter Beweis stellt, schickt seine Frau sich womöglich an, eines Tages Präsidentin zu werden. „Wäre das nicht verrückt?“, fragt Wagner genügsam. Nun, nicht verrückter als dass Lambchop ein HipHop-Album veröffentlichen.