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„Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“: Die Kunst des Denkens

Das Historiendrama „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ läuft im Kino.
Das Historiendrama „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ läuft im Kino. (Foto: if... Productions, ERF - Edgar Reitz Filmproduktion)

Im Kino startet mit „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ von Edgar Reitz ein kurzweiliger, hochintelligenter Historienfilm, in dem Kunst und Wissenschaft rivalisierend Hand in Hand gehen.

Was? Ein 92-Jähriger macht einen Film über einen seit 310 Jahren toten Gelehrten? Trocken wie Knäckebrot! Nein, saftig wie eine reife Orange: der Kinofilm „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ von Edgar Reitz.

„Und am besten einfach mal an gar nichts denken.“ Was für ein Satz, an einen der größte Geister der Zeit gerichtet! Kein Wunder, dass der Maler Pierre-Albert Delalandre (Lars Eidinger, „Das Licht“, „Sterben“, „Schwesterlein“) und Gottfried Wilhelm Leibniz (Edgar Selge, „Honecker und der Pastor“) nicht so gut klarkommen bei der Erstellung eines Porträts des Universalgelehrten. Leibniz misstraut der Kunst und des Abbilds, er will lieber philosophieren, ihn interessiert einzig die Wahrheit. Und die Kunst? Die kann doch sowieso einen Menschen nicht in seiner ganzen Persönlichkeit erfassen. Sophie Charlotte, Königin von Preußen, hätte aber gerne ein Porträt ihrer geliebten Lehrers im Porzellankabinett am obertrockenen Hof in Berlin, quasi als anregenden Gesprächspartner. Leibniz, im Jahre 1705 Hofrat am Schloss Herrenhausen in Hannover, tut ihr natürlich den Gefallen.

Nachdem der eitle Delalandre hinwirft, engagiert Charlottes Schwester, Kurfürstin Sophie von Hannover (Barbara Sukowa, „Klandestin“), die als Mann firmierende, junge Delfter Malerin Aaltje Van De Meer (Aenne Schwarz, „Tagundnachtgleiche“). Diese von Reitz erfundene Malerin ist in keiner Zunft, weil weiblich, und will Leibniz im Chiaroscuro malen: „Vom Dunklen ins Helle“. Das gefällt dem alten Denker sofort: „So sollte man leben!“ Durch Van De Meers informellen, kreativen Ansatz und ihr Interesse am intellektuellen Austausch entspinnen sich bei den gemeinsamen Sessions zwischen Malerin und Modell Diskussionen über die Kunst und die Wahrheit und Alles drumherum …

Der 92-jährige Edgar Reitz, mit seiner epochalen „Heimat“-Filmreihe der große deutsche Chronist, lässt in seinem entspannten Kammerspiel die Wissenschaft  – Leibniz hat u. a. die erste mechanische Rechenmaschine erfunden und die Grundlagen der Computertechnik gelegt – auf die freie Welt der Künste treffen, die wie Van De Meer sagt, malt, was sie nicht weiß. In einer Szene diskutieren Leibniz und Van De Meer und auch Leibniz’ fiktiver Eckermann Liebfried Cantor (Michael Kranz) darüber, wie die Kunst die Zeit und den Raum einfängt. Kann ein Porträtbild nur sinnlos Vergangenes festhalten? Oder auch die Gegenwart, wenn etwa Menschen mit dem Bild in den Dialog treten? Und fängt es nicht auch den Raum ein, über die Perspektive des Werkes?

Lustvoll und respektvoll gehen in „Leibniz – Chronik eines verschollenen Bildes“ Logik und Leidenschaft in ruhigen, von warmem Sonnenlicht, tiefen Brauntönen und Prismaspielereien bestimmten Bildern ein Stück des Weges gemeinsam, forschen und vergleichen, lernen und verstehen, und es ist eine Freude, dabei zuzusehen. Wie es auch eine wunderbare Überraschung ist, dass es noch deutsche Filme im Kino gibt, die sich der Kraft des Denkens und des Geistes und dem lustvollen Diskurs widmen, mit Figuren aus dem klassischen Bildungskanon, ohne dass das Ergebnis je altbacken wäre. In vielerlei Hinsicht: die beste aller möglichen filmischen Leibniz’schen Welten.

 

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