Lene Albrecht: Wir, im Fenster
Lene Albrecht schafft in „Wir, im Fenster“ eine Lebenswelt, die nachdenklich macht: Man taucht in sie ein – und braucht zugleich Distanz, um zu verstehen.
Linn und Laila sind unzertrennlich– jedenfalls waren sie das. Ihre Freundschaft, das gemeinsame Aufwachsen in Berlin-Kreuzberg nach der Wende liegt tief im Gedächtnis der 30-jährigen Erzählerin Linn. So tief, dass manches mühsam ans Licht kommt: „Wenn man sich Dinge lange genug vorstellt, bekommen sie ihre eigene Wahrheit. Sie werden wahr, egal, was wirklich geschehen ist.“ Lene Albrecht debütiert in ihrem Coming-of-Age-Roman mit der Aufarbeitung einer Erinnerung, die zwischen emotionaler Nostalgie und schmerzhaftem Bewusstsein jongliert. Bruchstückhaft erfahren wir von einem Teenagerleben unter rauen Bedingungen, von zwei Mädchen und ihren Unsicherheiten – und wohin diese führen. Immer wieder wechselt die Autorin die Zeitebenen, verliert sich in detaillierten Rückblicken, die so präzise sind, das man ihnen einfach glauben muss. Der Fokus liegt auf Lailas Verschwinden, etwas muss passiert sein. Was, erfahren wir zum Schluss. Mit dieser Spannung hängt man der Erzählerin förmlich an den Lippen, bis man es schließlich selbst nicht glauben kann: Wie konnte das passieren? Die schmerzhafte Frage nach dem Warum begleitet das minutiöse Herantasten der Protagonistin. Lene Albrecht schafft eine Lebenswelt, die nachdenklich macht. Man taucht in sie ein – und braucht zugleich Distanz, um zu verstehen. jb
Lene Albrecht Wir, im Fenster
Aufbau Verlag, 2019, 223 S., 20 Euro