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„Lockvogel“ von Daria Shualy

Buchcover „Lockvogel“ von Daria Shualy

Mit ihrem Debüt „Lockvogel“ mischt Daria Shualy die israelische Kriminalliteratur auf und setzt uns in ihrem Neo-Noir eine Detektivin der nächsten Generation vor.

Daria Shualy wählt in „Lockvogel“ eine arabisch-stämmige Mizrachim als Protagonistin, die sich dagegen wehrt, dass ihre gesellschaftliche Position über ihr Geschlecht oder ihre Wurzeln definiert wird.

„Lockvogel“ von Daria Shualy ist unser Krimitipp der Woche.

35 Grad im Schatten, 82 Prozent Luftfeuchtigkeit und maximal 30 Minuten bis zum nächsten Raketenalarm. Im Juli ist Tel Aviv noch stressiger als sonst. Privatdetektivin Masi Morris kennt das Leben nur als permanenten Ausnahmezustand und lässt sich durch die Geschosse aus Gaza und der alltäglichen Hast zum nächsten Luftschutzbunker nicht beirren. Gerade noch mit blonder Perücke beim One-Night-Stand, setzt sie die Ray-Ban auf, steckt die Pistole in die Jeans und flitzt mit ihrem Motorrad durch die Stadt. Früher war sie bei einer Sonderermittlungseinheit, jetzt soll sie für ihren Jugendfreund Dudi dessen verschwundene Ehefrau suchen, die zur einflussreichen Schechter-Familie gehört. Da hilft, dass sie von ihrer 20-jährigen Schwester Tilly und Computernerd Benji mit seinem Parabolmikrofon unterstützt wird. Denn Masi wird nicht nur von dem Feigenpappel-Matsch auf den Straßen gebremst, sondern auch durch ein familiäres Geflecht aus Intrigen, sexueller Ausbeutung und Korruption. In den Gassen von Tel Aviv sollte man – nicht nur aus archäologischer Vorsicht – eben niemals allzu tief im Dreck graben. Masi braucht so manche kalte Dusche und viele Chili-Kebabs, um einen klaren Kopf zu bewahren. Sie ist einem Skandal auf der Spur, deren Offenlegung wie eine unangekündigte Rakete einschlagen wird …

Das Debüt von Daria Shualy mischt mit einer erfrischenden Leichtigkeit die israelische Kriminalliteratur auf. Auch wenn die häufig auf die Jerusalem-Romane von Batya Gur reduzieret wird, hat sich Israel-Crime längst deutlich facettenreicher etabliert. Shualy setzt uns in ihrem Neo-Noir eine israelische Detektivin der nächsten Generation vor: Masi ist eine verdammt coole Socke, die unerschrocken handelt und nicht nur in ihren Kung-Fu-Schuhen mehr Schneid als mancher Macho hat. Shualy wählt eine arabisch-stämmige Mizrachim als Protagonistin, die sich dagegen wehrt, dass ihre gesellschaftliche Position über ihr Geschlecht oder ihre Wurzeln definiert wird. In einer Bevölkerung, deren Hierarchie durch den Grad der Religiosität und die ethnische Identifikation festgelegt ist, keine Selbstverständlichkeit. „Lockvogel“ ist überzuckert wie ein Honigkuchen – und zugleich aber ein süchtig machender Leckerbissen!

Hat es Daria Shualy mit „Lockvogel“ auf unsere Liste der besten Krimis im April 2024 geschafft?

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